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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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nicht gleich wieder verlassen.
    »Sie muss aber eine gute Freundin gewesen sein, wenn du in der ganzen Wüste nach ihr gesucht hast.«
    »Sie war tatsächlich eine gute Freundin. Auch wenn sie ein Mädchen war«, erwiderte Seamie verschwörerisch.
    »Mummy war auch ein Mädchen. Hast du deine Freundin so geliebt wie Mummy?«
    Seamie zögerte einen Moment, weil der alte Schmerz wieder aufflammte. Als er an die Fehler dachte, die er begangen hatte, an den Betrug. An das Leid, die Reue, die Schuld und den Verlust. Wie um alles in der Welt sollte er dies je jemandem erklären, ganz zu schweigen einem kleinen Jungen?
    »Weißt du was, James?«, sagte er schließlich. »Das ist eine Geschichte für einen anderen Abend. Jetzt ab ins Bett mit dir. Es ist schon spät.«
    »Na gut«, antwortete James und küsste Seamie auf die Wange. »Ich hab dich lieb, Daddy.«
    Seamie war verblüfft. So etwas hatte James noch nie gesagt. Er lehnte den Kopf an den seines Sohnes und flüsterte: »Ich dich auch, James.«
    Eng aneinandergeschmiegt saßen sie da und sahen ins Feuer. Seamie vergaß, James ins Bett zu schicken, und vergaß alle schmerzlichen Gedanken und quälenden Erinnerungen.
    Zum ersten Mal seit langer Zeit dachte er nicht an die Vergangenheit, nicht an alles, was er verloren hatte, sondern nur an die Gegenwart und daran, was er besaß. Und dass dies so viel mehr war, als er verdiente. Und er betete, dass er es niemals verlieren möge.

   110   
    D as ist doch gelogen!«, schrie Billy. »Das denkst du dir nur aus, um deine Haut zu retten.«
    »Nein, ich habe nicht gelogen. Binden Sie mich los, und ich erzähl Ihnen mehr«, erwiderte Max, in der Hoffnung, Billy von der Wahrheit zu überzeugen. In der Hoffnung, sein Leben zu retten.
    »Vielleicht sollt ich dir stattdessen die Scheiße aus dem Leib prügeln. Das ist auch eine Möglichkeit, mehr aus dir rauszukriegen.«
    »Ich hoffe, Sie haben gute Nerven. Oder besser gesagt, Ihr Schläger hier. Ich kann Prügel einstecken, Billy. Bei meiner Arbeit ist das eine entscheidende Voraussetzung. Aber wenn ihr zu stark zuschlagt, bringt ihr mich möglicherweise um. Das wäre bedauerlich. Weil ich einer der beiden Leute bin, die wissen, dass Sie einen Sohn haben. Josie weiß auch, wo der Junge ist. Aber Sie haben keine Ahnung, wo Josie ist, stimmt’s? Töten Sie mich, und Sie werden es nie erfahren.«
    Billy starrte Max nachdenklich an, dann sagte er: »Bind ihn los, Bennie.«
    Sobald die Fesseln abgenommen waren, stand Max auf. »Als Erstes geht der«, sagte er und deutete auf Bennie, »und dann entladen Sie die Pistole und geben mir die Patronen.«
    Billy gehorchte.
    Als Bennie auf dem Weg in die Hotelhalle war und die Patronen sicher in Max’ Tasche, sagte Max: »Hören Sie genau zu, ich erzähle das bloß einmal. Und dann verschwinden Sie hier.«
    Billy nickte.
    »Sie ist in Paris. Ich habe sie im Auge behalten. Sie ist Schauspielerin. Sie tritt unter dem Namen Josephine Lavallier im Bobino am Montparnasse auf. Sie hat sich 1914 vor Ihnen versteckt, ein Kind bekommen – einen Jungen – und ihn weggegeben. Dann hat sie England verlassen und ist nach Frankreich gegangen.«
    »Ihn weggegeben? An wen? Ist er hier in London? Oder in einem Waisenhaus?«
    »Sie hat ihn einer Frau gegeben. Die Frau ist gestorben. Dem Jungen geht es gut. Er lebt beim Ehemann der Frau – einem Mann, den er für seinen Vater hält.«
    »Welcher Frau? Hör auf mit dem Scheiß, und sag mir, wie der Mann heißt!«
    »Tut mir leid, Billy, aber das ist nicht möglich, fürchte ich. Dieser Teil der Information erkauft mir ein bisschen Zeit. Das ist mein Pfand gegen einen weiteren Nachmittag wie diesen. Solange ich weiß, wo Ihr Sohn ist, können Sie mich nicht umbringen.«
    »Ich kann dich immer noch kaltmachen, von Brandt. Ich wart bloß, bis ich dieses Miststück Josie und den Namen von den Leuten hab, denen sie meinen Jungen gegeben hat. Dann komm ich zurück und mach dich fertig. Schnapp dich irgendwann nachts, wenn du’s am wenigsten vermutest.«
    »Das glaube ich kaum. Bis Sie in Paris sind, Josie aufstöbern und wieder nach London kommen, bin ich längst in Berlin. Ich rate Ihnen, mich nicht zu verfolgen. In dieser Stadt habe ich viele Freunde.«
    Ohne ein weiteres Wort verließ Billy Madden das Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Max sperrte ab. Er ging in den Wohnbereich zurück, hob das Seil vom Boden auf und steckte es in seine Aktentasche, um es später wegzuwerfen. Dann holte er einen

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