Die Wildrose
sie. Das werde ich auch. Wenn ich ihn je wiedersehe.
Oscar hatte entschieden, dass ein hübsches Haus mit Porzellanservice und Staubsauger nicht die richtige Antwort auf Willas Probleme war – und er genauso wenig. Sie hatten sich ein paar Tage nach ihrer Überdosis getrennt, und er war nach Rom zurückgekehrt. Willa konnte es ihm nicht verdenken. Sie war ihm nicht böse. Sie hielt es ja mit sich selbst nicht aus. Warum sollte er es mit ihr aushalten?
Das Wasser kochte. Sie mahlte Kaffeebohnen, gab das Pulver in die Kanne und goss Wasser darüber. Dann goss sie Milch in eine Schale, gab den Kaffee dazu und trug die Schale zum Tisch. Morgendlicher Sonnenschein fiel durch die Fenster. Sie drehte ihren Stuhl so, dass er ihr den Rücken wärmte. Dann verbarg sie ihr Gesicht in den Händen und weinte.
So geschah es inzwischen jeden Tag. Die Traurigkeit erdrückte sie so sehr, dass sie sich kaum mehr bewegen konnte. Sie aß fast nichts mehr und schlief und arbeitete auch nicht mehr. Sie wünschte, Josie und Oscar hätten sie nicht gefunden, und sie wäre an der Überdosis gestorben. Dann wäre sie jetzt bei Seamie statt in der quälenden Einsamkeit hier.
Sie schob das Frühstück beiseite und griff nach den Pillen. Injizierbares Morphium hatte sie keines mehr. Die Pillen waren zwar weniger stark, aber alles, was sie noch besaß.
Während sie drei schluckte, klopfte es an der Tür. »Wer ist da?«, rief sie.
»Deine Tante Edwina! Lass mich rein!«
»Tante Eddie?«, fragte Willa ungläubig. Sie eilte zur Tür und öffnete sie. Ihre Tante stand dort in Reisemantel und Hut, mit einem Koffer in der Hand.
»O Gott«, rief sie entsetzt, als ihr Blick auf Willa fiel. »Der Mann hatte recht. Du siehst wirklich wie ein Wrack aus. Darf ich reinkommen?«
»Natürlich, Tante Eddie«, antwortete Willa und nahm ihr den Koffer ab. »Welcher Mann? Was hat er gesagt? Warum bist du hier?«
»Was ist denn das für eine Begrüßung?«, fragte Eddie ungehalten. »Nachdem ich den ganzen Weg hierhergekommen bin.«
»Tut mir leid, Eddie«, erwiderte Willa und umarmte sie. »Ich freue mich, dass du hier bist, ehrlich. Ich bin bloß durcheinander, das ist alles. Wegen dieses Mannes, den du erwähnt hast.«
»Irgendein Mann hat an Albie geschrieben«, erklärte Eddie, als sie ihren Mantel ablegte. »Er hatte seine Adresse von alten Briefen, die er in deiner Wohnung fand. Er meinte, du seist in ziemlich schlechter Verfassung und dass Albie dich abholen solle. Da Albie dies aber schon mal vergeblich versucht hat, beschloss ich, dich aufzusuchen. Ich bin hier, um dich nach Hause zu bringen, Willa.«
»Warte mal, Tante Eddie … wie heißt dieser Mann?«, fragte Willa verwundert.
»Oscar soundso. Ich weiß nicht mehr. Er sagte, er würde dich kennen und sich Sorgen um dich machen, könne dir aber offensichtlich nicht helfen. Seiner Meinung nach solltest du nicht länger allein bleiben. Ist das Kaffee, was ich hier rieche?«
»Ja«, antwortete Willa. »Ich bring dir eine Tasse.« Also steckte Oscar hinter der Sache. Er hatte aus Sorge um sie an ihre Familie geschrieben. Dass er das getan hatte, nach allem, was passiert war, rührte sie derart, dass ihr fast wieder die Tränen kamen.
»Aber es gibt noch einen anderen Grund für meinen Besuch«, sagte Eddie.
Willa, die gerade Milch in den Kaffee ihrer Tante rührte, drehte sich alarmiert um.
»Schau nicht so verängstigt. Deiner Mutter und deinem Bruder geht es gut. Ich habe Neuigkeiten für dich. Gute Neuigkeiten, dennoch ziemlich schockierend. Ich finde, du solltest dich setzen. Komm her.« Sie klopfte auf den freien Platz neben sich auf dem Sofa.
Willa setzte sich und reichte ihrer Tante den Kaffee. »Ich muss sagen, das hört sich alles ziemlich seltsam an, Tante Eddie. Was denn für Neuigkeiten? Was ist passiert? Hättest du nicht einfach schreiben können, statt die weite Reise von Cambridge nach Paris zu machen?«
Eddie antwortete nicht. Sie beugte sich über ihren Koffer, zog eine Zeitung heraus und reichte sie Willa. Willa sah, dass es sich um eine Ausgabe der Londoner Times handelte, die schon mehrere Wochen alt war.
»Lies!«, sagte Eddie.
Die Schlagzeile berichtete von der Rückgabe des Elsass an Frankreich, von Wiederaufbauprojekten des Gebiets an der Marne und vom Besuch des belgischen Königs in Paris. Willa überflog die Artikel oberflächlich und nippte dabei an ihrem Kaffee. »Wonach soll ich denn suchen?«, fragte sie.
Dann sah sie das Foto am unteren Ende der
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