Die Wildrose
auch.«
»Wie schön! Die Hatchers waren ja eng mit den Curzons befreundet. Mrs Hatcher und Mary Curzon sollen wie Schwestern gewesen sein, habe ich gehört.«
Ein Diener näherte sich mit einem Tablett gefüllter Champagnerkelche. »Hier«, sagte Elinor und reichte ihr einen. »Du siehst völlig ausgetrocknet aus.«
»Das bin ich. Danke«, erwiderte Maud.
»Trink nur. Es ist genug davon da. Heute Nachmittag habe ich zwölf Kisten in Georges Keller aufgestöbert«, sagte Elinor augenzwinkernd. Dann rauschte sie, eine Parfümwolke hinter sich herziehend, davon. »Wir sind gleich gegenüber!«, flötete sie über die Schulter hinweg.
Maud lächelte. »Gleich gegenüber« war keine geringe Entfernung auf Kedleston Hall, dem weitläufigen Familiensitz von George Nathaniel Curzon, dem verwitweten Ersten Marquis Curzon von Kedleston. Sie war auf Elinors Drängen zu einer Wochenendparty hergekommen, und obwohl sie schon einige Male hier gewesen war, staunte sie jedes Mal aufs Neue über die Größe und Pracht des Landsitzes. Er war sehr alt, sehr schön, ziemlich überladen, und sie liebte ihn.
Elinor war gleichermaßen hingerissen davon, wie Maud wusste, und wäre nichts lieber als Herrin auf Kedleston Hall geworden. Sie war bereits Curzons Geliebte und machte keinen Hehl aus ihrem Wunsch, seine Gattin zu werden. Aber dafür gab es Hinderungsgründe. Ihren Ruf zum Beispiel. Sie war eine Skandalschriftstellerin, und ihre Romane galten als so schlüpfrig, dass keine anständige Frau bei deren Lektüre erwischt werden wollte. Außerdem gab es noch ihren Ehemann – Sir Richard. Der war früher einmal sehr reich gewesen, hatte inzwischen aber nur noch Schulden. Elinor hatte 1900 zu schreiben begonnen und warf seitdem jedes Jahr ein Buch auf den Markt, um den aufwendigen Lebensstil zu finanzieren. Die Romane verkauften sich wie geschnitten Brot.
Maud hatte heute Abend keine besondere Lust auf Musik. George und die anderen Politiker, die übers Wochenende hier logierten, langweilten sie. Selbst ihr guter Freund Asquith, der Premierminister, langweilte sie heute Abend. Sie fühlte sich schrecklich ruhelos und hatte sich schon überlegt, einen Spaziergang durch die Gärten von Kedleston zu machen oder einfach mit einem Buch zu Bett zu gehen. Aber nun, da Max von Brandt hier war, war natürlich alles anders. Sie erinnerte sich an ihn. Sehr gut sogar. Einen Mann mit solch einem Gesicht vergaß keine Frau. Tatsächlich war er ihr seit dem Treffen in Holloway nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
Sie stellte das leere Champagnerglas ab und zündete sich eine Zigarette an. Es war eine spezielle Zigarette, mit einer Spur Opium versetzt, die sie der Gefälligkeit eines Drogenkönigs namens Teddy Ko in Limehouse verdankte. Vor ein paar Tagen hatte sie sich frischen Nachschub bei ihm geholt. Aber sie trieb es nicht mehr so schlimm wie in den letzten Jahren. Sie besuchte nicht mehr regelmäßig die Opiumhöhlen im East End und rauchte sogar weniger von dem Zeug als früher, aber ab und zu gönnte sie sich eben ein paar Züge.
Sie inhalierte tief, blies eine Rauchwolke aus und ging dann zum Musikzimmer. Es war natürlich riesig, wie alle Räume auf Kedleston, und mit tausend Dingen vollgestopft – Gemälden, Porzellan, Möbeln und einer Menge Gäste –, dennoch entdeckte sie Max auf Anhieb.
Er saß am Klavier und spielte In the Shadows . Sein silberblondes Haar war zurückgekämmt, und er trug einen wundervollen schwarzen Smoking und sah genauso umwerfend gut aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte.
Plötzlich blickte er auf und lächelte sie an, dass ihr die Knie weich wurden. Wie einer albernen Sechzehnjährigen. Es war lange her, dass ein Mann eine solche Wirkung auf sie ausgeübt hatte.
Die nächsten Lieder sang er für sie, lauter Stücke, die sie liebte – Destiny, Mon Cœur S’ouvre à ta Voix, Songe d’Automne –, wobei er sie nicht aus den Augen ließ, und zu ihrem Entsetzen stellte sie fest, dass sie den Blick abwenden musste und, schlimmer noch, rot wurde.
Als die letzten Noten von Salut d’Amour verklangen, erklärte er, er sei müde, brauche einen Drink und verließ abrupt den Raum. Es gab Applaus und Bravorufe, aber Maud hatte das Gefühl, die ganze Welt sei plötzlich still geworden.
»Reiß dich zusammen«, ermahnte sie sich.
Sie verließ das Musikzimmer und ging zum Ballsaal. Er war menschenleer, aber ein paar Fenstertüren standen offen, und sie eilte rasch ins Freie hinaus, weil sie unbedingt frische Luft
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