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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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sah sie an.
    »Sie sind schwarz wie ein Schornsteinfeger! Sie sollten Ihr Gesicht sehen. Sie sehen aus, als wären Sie in eine Kohlengrube gefallen. Warten Sie. Ich hole eine Schüssel mit Wasser.«
    Kurz darauf war sie mit Wasser, Seife und Handtuch zurück. Sie bat ihn, sich zu setzen, und schrubbte ihm dann den Ruß von Wangen und Hals. Er schloss die Augen, während sie ihn wusch. Ihre Hände waren zart und sanft, und er mochte es, wie sie sich anfühlten. Und zwar so sehr, dass er sich von seinen Gefühlen überwältigen ließ. Eigentlich wollte er die Sache sehr korrekt und förmlich angehen. Zu ihr nach Hause gehen und zuerst mit ihrem Vater sprechen. Doch stattdessen ergriff er jetzt ihre Hand und sagte: »Jennie, kommen Sie, gehen Sie mit mir spazieren, ja?«
    »Ja. Gut. Ich würde gern einen Spaziergang machen. Ich muss zum Markt und …«
    »Nein. Ich meine morgen. Nach dem Gottesdienst. Im Hyde Park.«
    »Oh«, sagte sie leise. »So einen Spaziergang.« Sie blickte auf ihre Hände hinab, zog aber die ihre nicht weg.
    »Ich würde Sie in einer Kutsche abholen. Ganz wie es sich gehört.«
    Lächelnd blickte sie auf. »Ja, also gut. Das wäre schön.«
    »Gut.«
    »Ja. Gut.«
    »Ich … ich bringe Sie nach Hause.«
    »Mein Zuhause ist nebenan, Seamie.«
    »Das weiß ich. Aber ich würde gern mit Ihrem Vater sprechen.«
    »Über den Ofen?«
    »Nein.«
    »Das müssen Sie nicht. Er erwartet das nicht. Ich bin fünfundzwanzig, wissen Sie. Schon erwachsen.«
    »Ich weiß. Trotzdem möchte ich mit ihm sprechen.«
    Sie lachte. »Also gut. Wenn Sie darauf bestehen.«
    Der Reverend saß mit einer Teekanne am Küchentisch und arbeitete an seiner Predigt. Als Jennie und Seamie hereinkamen, blickte er auf.
    »Seamus! Schön, Sie wiederzusehen, mein Junge! Möchten Sie eine Tasse Tee?«
    »Nein, Reverend. Vielen Dank.«
    »Was führt Sie zu uns?«
    Und Seamie, der unbekannte Ozeane befahren, heulende Stürme und eisige Temperaturen überstanden hatte, merkte plötzlich, wie ihn der Mut verließ. Er fühlte sich wie ein Sechsjähriger in kurzen Hosen, der um ein paar Pennys für den Jahrmarkt bat. Noch nie hatte er um Erlaubnis gefragt, wenn er mit einer Frau spazieren gehen wollte. Bei den Frauen, mit denen er es in den vergangenen Jahren zu tun gehabt hatte, ging es allerdings auch nicht ums Spazierengehen, und jetzt musste er feststellen, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wie er die Sache anpacken sollte.
    »Ich … ähm … nun, Sir … Ich möchte … Ich meine, ich würde Sie gern um die Erlaubnis fragen, dass ich Jennie morgen zu einem Spaziergang einladen darf.«
    Der Reverend sah ihn verständnislos an und sagte kein Wort.
    »Außer, es wäre ein Problem, Reverend«, fügte Seamie nervös hinzu.
    »Nein, nein! Ganz und gar nicht«, erwiderte der Reverend lachend. »Es ist bloß, dass ich es nicht gewöhnt bin, gefragt zu werden. Meine Jennie tut, was sie will. Schon immer. Sie ist ein sehr unabhängiges Mädchen. Aber wenn es Sie glücklich macht, dann gebe ich Ihnen meine Erlaubnis, Sie morgen auf einen Spaziergang abzuholen.«
    »Danke, Sir. Ich komme um zwei, wenn es recht ist.«
    »Kommen Sie, wann immer Sie wollen«, entgegnete der Reverend.
    »Um zwei wäre schön«, sagte Jennie.
    Seamie verabschiedete sich höflich, und Jennie begleitete ihn zur Tür.
    »Das hätten Sie nicht tun müssen«, sagte sie, als sie die Tür aufmachte.
    »Doch.«
    »Das nächste Mal bestehen Sie auf einer Anstandsdame.«
    Daran hatte er nicht gedacht. »Ich habe nichts dagegen. Wenn Sie eine wünschen, meine ich«, fügte er schnell hinzu.
    »Nein, das tue ich nicht«, erwiderte sie. Und dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
    Bevor er reagieren konnte, öffnete sie die Tür. »Bis morgen«, sagte sie.
    »Richtig. Ja. Bis morgen«, antwortete er.
    Darauf schloss sie die Tür, und er wusste, er hätte gehen sollen. Aber das tat er nicht. Nicht gleich. Er blieb einen Moment stehen und berührte verwundert die Stelle an seiner Wange, die sie geküsst hatte.

   11   
    L iebste, hast du meinen neuen Deutschen gesehen?«
     »Nein, Elinor. Hast du ihn verlegt?«, fragte Maud Selwyn-Jones.
    »Du freches Ding«, antwortete Elinor Glyn. »Komm mit. Er spielt drüben Klavier und bringt alle Damen um den Verstand. Du wirst ihn hinreißend finden. Er ist absolut göttlich. Sein Name ist Max von Brandt. Er ist mit seiner Cousine Harriet Hatcher hergekommen. Der Ärztin. Kennst du sie?«
    »Sicher. Und ihn

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