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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Nur Erziehung kann das erreichen. Nur mit Bildung gelingt es, die Arbeitshäuser und Gefängnisse, die Armenviertel und schäbigen Mietskasernen zu leeren. Unsere Regierung fängt endlich an, die drückende Not der arbeitenden Bevölkerung zu erkennen. Sie beginnt, in ihrem Namen zu handeln. Beachten Sie, wie weit wir allein in den letzten zehn Jahren gekommen sind. Beachten Sie unsere Errungenschaften: besseren Schutz für Kinder vor Missbrauch und Ausbeutung, Pensionen für die Alten und eine nationale Arbeitslosenversicherung – um nur einige zu nennen. Die Neinsager behaupteten, zu solchen Fortschritten würde es nie kommen. Sie bezeichneten diejenigen, die das Gesetz zum Schutz der Kinder und das Versicherungsgesetz einbrachten, als Träumer. So haben mich zumindest einige von Ihnen – die Freundlicheren – genannt. Wenn es Träumer sind, die Sechsjährige aus Fabriken fernhalten wollen, wenn es Träumer sind, die Analphabetismus und Unwissenheit beenden wollen, dann bin ich stolz, ein Träumer zu sein.«
    Joe hielt einen Moment inne und kam dann zum Ende seiner Rede.
    »Wir stehen jetzt an einem Scheideweg der britischen Geschichte«, sagte er. »Schlagen wir den neuen und vielversprechenden Weg ein und sichern damit die Zukunft aller britischen Kinder? Oder wenden wir uns nach rückwärts? Und fallen in den gewohnten Trott zurück. Zurück zum Misserfolg. Zu Not und Verzweiflung. Ich kann Ihnen nicht vorschreiben, wie Sie abstimmen sollen. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Es ist Zeit, den Egoismus beiseitezuschieben, es ist Zeit, politisches Kalkül beiseitezuschieben, es ist Zeit, an die zu denken, die Ihnen zu den Sitzen verholfen haben, die Sie heute einnehmen. Denken Sie an Ihre Wähler, Gentlemen, und an Ihr Gewissen.«
    Es herrschte Stille, als Joe seine Rede beendet hatte, so große Stille, dass man die Uhr im Saal ticken hörte. Dann setzte der Applaus ein. Und die Jubelrufe. Labour-Abgeordnete standen auf und klatschten. Viele Kollegen von den Liberalen schlossen sich an. Nur auf den Bänken der Konservativen blieb es ruhig.
    Der Applaus hielt ganze zwei Minuten an, dann bat der Speaker erneut um Ruhe.
    Als zur Abstimmung gerufen wurde, gab es genügend Jastimmen, damit Joes Vorlage zur zweiten Lesung zugelassen wurde. Aber es gab noch kein klares Ergebnis, noch bei Weitem nicht. Es war nach wie vor ein langer Weg, bis aus der Vorlage ein Gesetz werden würde, aber wenigstens hatte sie die erste Lesung überstanden und war nicht gleich abgeschmettert worden. Mehr konnte Joe für den heutigen Tag nicht erwarten.
    Als er zu seinem üblichen Platz in einer der vorderen Reihen zurückfuhr, sah er zur Galerie hinauf. Fiona und Kate lächelten triumphierend. Katie, mit ihrem Notizblock in der Hand, winkte ihm kurz zu.
    Dann gab es eine kurze Pause, bevor der Speaker dem Ehrenwerten Winston Churchill, dem Ersten Lord der Admiralität und Chef der britischen Marine, das Wort erteilte.
    »Worauf ist Winston jetzt aus?«, fragte ein Mann hinter Joe flüsternd.
    »Auf mehr verdammte Schiffe«, antwortete Lewis Mead.
    Als Churchill zu sprechen begann, wurde klar, dass er nicht nur auf Schiffe, sondern auf sogenannte Dreadnoughts, auf Großkampfschiffe, aus war.
    Das erste Großkampfschiff der britischen Marine war 1906 vom Stapel gelaufen. Es gehörte zu einer völlig neuen Generation von Schlachtschiffen, die mit gewaltigen Kanonen und Dampfturbinen bestückt waren, und hatte den Rüstungswettlauf mit Deutschland ausgelöst.
    Nachdem der Kaiser zwei ähnliche Schiffe gebaut hatte, stimmte das Parlament 1909 dafür, vier weitere Dreadnoughts zu finanzieren und 1910 nochmals vier. Die Zustimmung zu den Schlachtschiffen hatte die Liberalen in unversöhnliche Gegnerschaft zu den Konservativen gebracht. In der Hoffnung, damit die Militärausgaben zu reduzieren, hatten die Liberalen nur vier Schiffe finanzieren wollen. Davon wollten die Torys nichts hören. Joe erinnerte sich noch an die Szene im Unterhaus, als das Thema diskutiert wurde und die Konservativen brüllten: »Wir wollen acht und wollen nicht warten!«, bis sie den liberalen Finanzminister David Lloyd George überstimmt und ihre Schiffe bekommen hatten. Und jetzt wollte Winston sogar noch mehr.
    In seinem üblichen ungeduldigen Tonfall und unter Anführung einer Menge Zahlen und Fakten redete Churchill ausführlich über Deutschlands zunehmend aggressive Haltung gegenüber Frankreich und Belgien. Er wies auf die Möglichkeit eines zukünftigen Konflikts

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