Die Wildrose
keine Ahnung. Ich mach’s wieder gut, indem ich dir verrate, wo der Champagner versteckt ist.« Sie senkte die Stimme. »Im Backrohr.«
Albie dankte ihr und wollte sich schon entfernen, als sie ihnen nachrief: »Ich möchte wissen, warum. Ihr müsst mir alles erzählen.« Dann wandte sie sich wieder dem hübschen Tänzer zu. »Also, Vaslav, sag mir, ob ich eine Chance bei diesem wunderbaren Tom Lawrence habe?«
Seamie folgte Albie in die Küche. Eine schöne, gelangweilt dreinblickende Frau saß rauchend auf dem Küchentisch, während ein Mann ihr Gedichte vortrug. Auf der anderen Seite des Raums balancierte ein anderer einen Teller auf einem Holzlöffel, und zwar auf dem Kinn, während er auf einem Bein stand. Dabei wurde er von einer Gruppe von Leuten gepiesackt.
Seamie war froh, dass er von Lulu und ihrem Gerede über Willa fort war. Er hatte am Tag der Beerdigung ihres Vaters beschlossen, sie sich aus dem Kopf zu schlagen, und tat sein Bestes, sich an diesen Entschluss zu halten. Als er zusah, wie Albie die Backofentür öffnete, eine Flasche Champagner herausholte und zwei Gläser einschenkte, dachte er, dass es vielleicht besser gewesen wäre, nicht mit zu der Party zu kommen. Vielleicht hätte er einfach zu Hause bleiben sollen. Albie hatte ihn in der neuen Wohnung aufgesucht und meinte, es mache ihn noch wahnsinnig, ständig im Haus seiner Mutter eingesperrt zu sein.
»Wo ist Jennie?«, fragte er, nachdem ihn Seamie ins Wohnzimmer geführt hatte und eine Flasche Wein öffnen wollte.
»Sie ist aufs Land gefahren. In ihr Cottage in den Cotswolds«, erklärte Seamie. »Sie meinte, sie brauche ein bisschen Ruhe.«
»Macht ihr die Schwangerschaft zu schaffen?«, fragte Albie.
»Ja.«
»Warum hast du sie nicht begleitet?«
»Sie wollte eine Woche bleiben.«
»Na und?«
»Ich muss doch arbeiten.«
»Ach ja. Das hab ich ja ganz vergessen. Inzwischen bist du ein respektables Mitglied der Gesellschaft geworden, nicht wahr?«
Stöhnend warf Seamie den Korken nach ihm. In der Tat hatte die Arbeit ihn abgehalten, nach Binsey zu fahren, aber es gab noch einen anderen Grund, den er Albie nicht verriet: Er hatte das Gefühl, dass Jennie das nicht wollte.
»Seamie, Liebling«, hatte sie vor zwei Tagen zu ihm gesagt, »ich hoffe, es macht dir nichts aus, aber ich werde dich nicht zu Miss Aldens Vortrag begleiten können. Ich bin ein bisschen erschöpft und würde gern ein paar Tage nach Binsey fahren. Ins Cottage meiner Mutter. Um mich ein wenig auszuruhen.«
»Geht’s dir nicht gut?«, hatte er sofort besorgt nachgefragt.
»Mir geht’s gut. Ich bin nur müde. Das ist vollkommen normal, meint Harriet.«
»Ich komme mit. Wir fahren am Wochenende. Ich habe das Cottage noch nie gesehen. Außerdem solltest du nicht allein reisen.«
»Das ist wirklich sehr lieb von dir«, entgegnete sie, aber in ihrer Stimme schwang noch etwas anderes mit – Angst? Nervosität? Er war sich nicht sicher. »Großartig natürlich, und es ist ja auch sehr schön dort, aber ziemlich langweilig. Ich hab auch nichts Besonderes vor, weißt du. Bloß ein bisschen lesen, denke ich. Außerdem möchte ich versäumte Korrespondenz nachholen, und vielleicht lasse ich einen Handwerker kommen, um das Dach zu reparieren. Das letzte Mal, als ich da war, ist mir aufgefallen, dass ein paar Schindeln fehlen.«
Seamie kannte sich nicht aus mit schwangeren Frauen, aber er hatte gehört, dass sie launisch und seltsam sein konnten und zu Klagen und Tränen neigten. Vielleicht brauchte Jennie etwas Abstand vom lauten London und ihren täglichen Pflichten: Sie musste sich schließlich um ihren Vater kümmern, die neu eingestellte Lehrerin überwachen und die Treffen der Frauenrechtlerinnen besuchen. Vielleicht brauchte sie auch etwas Abstand von ihm, wusste aber nicht, wie sie ihm das beibringen sollte – Abstand von der Haushaltsführung, vom Kochen und den endlosen Abendessen in der Royal Geographical Society.
»Natürlich«, hatte er gesagt, weil er sie nicht weiter bedrängen wollte. »Du wirst wissen, was das Beste für dich ist, aber du musst mir schreiben. Jeden Tag. Damit ich weiß, dass es dir gut geht.«
Sie küsste ihn, versprach ihm zu schreiben und sagte, sie werde ihn schrecklich vermissen. Und heute Morgen hatte er sie in Paddington in den Zug gesetzt und beteuert, sie am Samstagabend wieder abzuholen.
»Also, nachdem du jetzt Strohwitwer bist, kannst du ja die Puppen tanzen lassen«, hatte Albie gesagt. »Wir könnten in ein Pub
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