Die Wildrose
Treibhaus. Sie stammten von einer wilden Hecke auf dem Land. Sie passten nicht in dieses Hotelzimmer, in diese graue Stadt. Genauso wenig wie Willa. Seamie nahm eine heraus und steckte sie ihr hinters Ohr. »Eine wilde Rose für meine Wildrose«, flüsterte er. Wieder strich er ihr das Haar aus dem Gesicht und fragte: »Warum bist du in mein Leben zurückgekehrt, Willa? Du hast es ruiniert. Mich ruiniert. Du bist das Beste, was mir je widerfahren ist, und zugleich das Schlechteste.«
»Ich sagte mir, nur dieses eine Mal«, antwortete sie. »Dasselbe habe ich dir gesagt. Aber das ist unmöglich, Seamie. Ich kann morgen früh nicht in dem Bewusstsein weggehen, dass ich dies nie mehr haben werde. Nie mehr so mit dir zusammen sein werde. Was sollen wir nur tun?«, fragte sie verzweifelt. Genau wie auf Lulus Party. »Was sollen wir bloß tun?«
»Uns lieben«, antwortete Seamie.
»Für wie lange?«, fragte sie und suchte seinen Blick.
Er nahm sie in die Arme und drückte sie an sich. »So lange wir können«, flüsterte er. »So lange wir können.«
31
M it dem Schlüssel zur Suite von Max in der Hand, eilte Maud den Flur im dritten Stock des Coburg-Hotels entlang. Um ihn zu bekommen, hatte sie den Pagen mit einer hübschen Summe bestechen müssen. In der anderen Hand trug sie eine neue Reisetasche. Sie enthielt zwei Tickets nach Bombay, einen Kompass und einen Feldstecher. Im Herbst, wenn sie vom Besuch bei India in Point Reyes zurück wäre, würden sie sich auf die Reise machen. Bombay wäre natürlich nur die erste Station. Von dort aus ginge es nach Norden, nach Darjeeling, und dann nach Tibet. Zum Everest.
Es war ein Geburtstagsgeschenk für Max, das sie schon seit Ewigkeiten geplant hatte. Morgen würde er vierunddreißig werden, und wenn er heute nach Hause kam, sollte er das Geschenk vorfinden. Er war für ein paar Tage nach Schottland gefahren. »Eine Jagdeinladung bei Freunden, Liebling«, hatte er erklärt. »Nur für Männer, leider. Ich werde dich schrecklich vermissen.«
Maud lächelte, als sie die Tür aufsperrte, und stellte sich seinen Gesichtsausdruck vor, wenn er die Tasche öffnete. Der Everest faszinierte ihn. Ständig schwärmte er ihr mit solcher Leidenschaft davon vor, dass sie ziemlich eifersüchtig geworden wäre, wenn es sich statt um einen Berg um eine Frau gehandelt hätte. Schnell schloss sie die Tür und trat ein. In den luxuriösen Räumen war es dunkel und still, und ihre Schritte hallten auf dem Marmorboden wider.
Also … wo soll ich das Geschenk nur hinstellen, fragte sie sich. Hier in die Diele? Nein, da könnte er darüber stolpern. Vielleicht auf den Wohnzimmertisch. Nein, auch nicht. Da könnte er es übersehen.
Sie beschloss, es aufs Bett zu legen. Dort würde er es sicher sehen. Sie ging ins Schlafzimmer und stellte die Tasche aufs Kopfkissen. Sie wirkte ein bisschen verloren dort, also entschied sie, ihm auch noch eine Nachricht zu hinterlassen. Sie setzte sich an den Schreibtisch, legte ihre Seidenhandschuhe neben sich auf die Schreibunterlage und schlüpfte aus ihrem Pelzmantel. Dann zog sie eine Schublade auf und suchte nach Papier und Stift. Einen Stift fand sie, aber kein Papier. Sie öffnete ein paar weitere Schubladen, aber nirgendwo gab es Papier. Frustriert hob sie die Schreibunterlage hoch, um nachzusehen, ob dort vielleicht ein paar Blätter lagen, aber nichts. Beim Hochheben hatte sie die Unterlage leicht zur Seite gekippt, und als sie sie wieder zurücklegte, bemerkte sie, dass etwas aus ihr herausgerutscht war – aus einem dünnen Schlitz, der fast unsichtbar in die untere Kante der Unterlage eingeritzt worden war.
Es sah aus wie die Ecke eines Fotos. Sie zog es heraus und hielt ein Schwarz-Weiß-Foto von einer nackten Frau in der Hand. »Ach, Max, du Schlingel«, sagte sie laut. Sie hatte keine Ahnung, dass er Pornografie sammelte.
Sie schüttelte die Schreibunterlage, und weitere Fotos rutschten heraus. Fünf im Ganzen. Eine ganze Sammlung. Maud sah sie an und erwartete irgendwelche schlüpfrigen, erotischen Aufnahmen, aber diese Bilder hatten nichts Verführerisches an sich. Sie waren grauenvoll. Abstoßend. Das Mädchen darauf wirkte betrunken oder von Drogen betäubt. Ihre Beine waren gespreizt. Die Arme über den Kopf gelegt. Und ihr Gesicht …
Ihr Gesicht. Maud schnappte nach Luft. Sie kannte es. Sie kannte diese Frau. »Mein Gott«, sagte sie laut. »Es ist Gladys. Gladys Bigelow.«
Sie kannte Gladys von den Treffen der
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