Die Wildrose
aufgetaucht – ausgerechnet bei Hoffman, seinem wertvollsten Kurier. Hoffman hatte ihn wissen lassen, dass Bauer in London eingetroffen sei, und Max hatte Hoffman angewiesen, Bauer ins Duffin’s zu bringen.
Bauer war wohl den ganzen Weg dahin verfolgt worden, denn zwischen seinem und Hoffmans Eintreffen und dem Klopfen an der Tür, mit dem der Polizist Einlass forderte, lagen nur ein paar Minuten. Max blieben nur ein paar Sekunden, um die beiden Männer zu exekutieren, Bauers Unterlagen ins Feuer zu werfen und zu fliehen. Dass man ihn nicht erwischt hatte, war ein reines Wunder. Sie hätten ihn erschossen, und einer Kugel war er auch nur knapp entgangen.
»Das Boot können wir vergessen«, sagte Max jetzt zu Billy. »Deswegen bin ich hier.«
»Für wie lange?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Max. »So lange, wie ich brauche, um einen neuen Kurier zu finden.«
»Warum bringen Sie Ihre Ware nicht selbst zum Schiff?«, fragte Billy. »Das ginge doch auch.«
»Das wäre im Moment nicht besonders klug.«
»Die Sache ist wohl wegen der Bullen ein bisschen heiß?«
»Ja. Ganz richtig.«
Auch das war nicht gänzlich gelogen. Aber die Londoner Polizei machte ihm keine Sorgen. Sondern der britische Geheimdienst. Max war deutscher Staatsbürger und stand daher ohnehin unter Verdacht. Er wusste, dass er mehr als einmal beschattet worden war. Aber er wusste auch, dass man ihn für sauber hielt, denn unter den Dokumenten, die Gladys beschafft hatte, befanden sich auch Briefe, die sein Dossier betrafen, und alle zeigten, dass man ihn nicht als Bedrohung ansah.
Aber er durfte auch keinerlei Verdacht erregen, und das bedeutete, dass er keine ungewöhnlichen Schritte unternehmen durfte. Zu einem Frauenhelden aus dem Londoner West End, der im Coburg wohnte und in den elegantesten Clubs und Häusern verkehrte, hätte es nicht gepasst, wenn man ihn plötzlich erwischte, wie er sich in einer schäbigen Werft im East End herumtrieb.
Billy blies Rauchringe in die Luft und fragte: »Könnten Sie nach Whitechapel gehen? Oder nach Wapping? Nachts?«
»Warum?«, fragte Max. Er war oft nach Whitechapel gegangen, aber nach allem, was passiert war, wäre das jetzt zu riskant. Er konnte es sich nicht leisten, von Mrs Duffin oder einem ihrer Mieter gesehen und identifiziert zu werden.
»Die Tunnel, Mann«, sagte Billy und drückte seine Zigarette aus.
»Was für Tunnel?«, fragte Max interessiert.
»Die unterm East End verlaufen. Von Whitechapel nach Wapping und Limehouse, direkt unter dem Fluss in Richtung Southwark.«
Max richtete sich auf. »Ich hatte keine Ahnung, dass es solche Tunnel gibt.«
»Doch. Ein echtes Labyrinth. Sehr gefährlich, wenn man sich nicht auskennt, aber äußerst praktisch, wenn man Bescheid weiß. Um den Bullen aus dem Weg zu gehen und Beute zu transportieren.«
»Wo genau sind die, Billy?«
»Überall. Einer geht sogar vom Keller einer Kirche – von St. Nicholas – direkt zu meiner Werft. Wenn Sie die Ware in die Kirche bringen können, kann ich Harris, meinen Mann, dort hinschicken. Er holt sie ab und leitet sie an Ihren Mann in der Nordsee weiter. Viele meiner Jungs haben schon irgendwas in St. Nick’s versteckt, und ein anderer hat es dann über die Tunnel abgeholt. Ein Kinderspiel.«
»Hat Reverend Wilcott nichts dagegen?«
»Ach, Sie kennen ihn? Nein, das ist ein alter Schwachkopf. Der lässt den ganzen Tag die Türen offen, bloß für den Fall, dass irgendeine Seele Rettung sucht. Ist ein Kinderspiel, sich in den Keller runterzuschleichen.«
»Aber sieht er das Zeug nicht, das Sie dort abstellen?«
»Nein, der kriegt nichts mit. Der weiß nicht mal, dass es dort unten eine Tür gibt, geschweige denn, wohin die führt. Wahrscheinlich geht er überhaupt nie da runter. Es ist kein angenehmer Ort. Dunkel und feucht. Da gibt’s nichts außer Ratten und ein paar alten, verrotteten Kirchenbänken. Und eine Statue des St. Nicholas. Die ist vor ein paar Jahren umgefallen und zerbrochen, als irgendwelche Lümmel sie klauen wollten. Sie ist total kaputt. Aber das Gute ist, dass der Kopf hohl ist. Ein prima Versteck für Pistolen, Schmuck und anderen Kleinkram. Oder Sie vergessen Wapping und steigen in Whitechapel in die Tunnel ein. Beim Blind Beggar. Und gehen von dort zur Werft. Das ist ein langer Weg, aber meine Leute haben ihn schon oft benutzt. Also, wie wär’s? Wollen Sie das probieren?«
Max dachte über Billys Worte nach. Die Sache besaß einen gewissen Reiz. Der Gedanke, die Dokumente
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