Die Wildrose
Frauenrechtlerinnen. Sie war eine von Jennie Wilcotts Schülerinnen gewesen und jetzt die Sekretärin von Sir George Burgess. Wie kam das Mädchen auf diese grässlichen Fotos?
Maud durchwühlte die Schubladen, bis sie einen Brieföffner fand. Den schob sie in den Schlitz in der Schreibunterlage und weitete ihn ein bisschen. Es war noch etwas darin, das konnte sie sehen. Sie schob den Finger hinein und war auf ein weiteres scheußliches Foto gefasst. Stattdessen zog sie einen kleinen Packen zusammengefalteter Kohlepapiere heraus.
Sie hielt eines ins Licht. Sie brauchte ein paar Minuten, um die Spiegelschrift zu entziffern, dann stellte sie fest, dass sie den Durchschlag eines Briefs von George Burgess an Winston Churchill über den Erwerb von fünfzig Sopwith-Flugzeugen in der Hand hielt. Ein anderer war an Asquith gerichtet, in dem um weitere Mittel für etwas namens »Room 40« gebeten wurde.
Die furchtbaren Fotos von Gladys, die Durchschläge von heiklen Schreiben aus der Feder ihres Vorgesetzten – Maud zählte zwei und zwei zusammen und begriff, dass Gladys von Max erpresst wurde.
Es gab noch weitere Briefe von Burgess, aber sie las sie nicht. Sie nahm all ihren Mut zusammen und steckte noch einmal den Finger in die Unterlage und hatte Angst, was sie diesmal ans Licht ziehen würde.
Es war eine zusammengefaltete Blaupause, die offensichtlich ein Unterseeboot darstellte. Die Beschriftung war auf Deutsch. Sie fand noch weitere Durchschläge von Briefen, ebenfalls auf Deutsch. Sie waren an einen Mann adressiert, dessen Namen sie kannte – Bethmann Hollweg, der deutsche Reichskanzler.
Das Blut gefror ihr in den Adern, als sie den letzten Gegenstand aus der Schreibunterlage zog – eine weiße Karte, die Vorderseite bedruckt. Maud kannte sie – es war die Einladung auf den Landsitz der Familie Asquith. Sie hatte die gleiche bekommen, und vor etwa vierzehn Tagen waren sie gemeinsam hingefahren.
Sie drehte die Karte um. Auf der Rückseite standen Notizen – in der Handschrift von Max. Auf Deutsch. Maud konnte ein bisschen Deutsch, jedenfalls genug, um zu verstehen, was sie las. Der Name von Asquith, Namen französischer, belgischer, russischer und amerikanischer Diplomaten sowie Ortsnamen, Zeitpunkte und Daten.
Mit Entsetzen erinnerte sie sich an ihren ersten Abend auf dem Landsitz. Sie erinnerte sich, wie der Sekretär hereinkam und dem Premierminister mitteilte, dass er am Telefon verlangt werde. Asquith wollte den Anruf in seinem Arbeitszimmer entgegennehmen. Und nachdem er hinausgegangen war, fragte Max, wo das Arbeitszimmer sei.
Oben. Direkt über uns. Henry ist nur verärgert , hatte Margot geantwortet.
»Er ist ein Spion«, sagte Maud flüsternd. »Mein Gott, er ist ein deutscher Spion. Und hat meine Freundschaft mit Margot ausgenutzt, um an Asquith ranzukommen.«
Bei den Namen und Daten handelte es sich vermutlich um Treffen des Premiers mit ausländischen Diplomaten. Geheimtreffen wahrscheinlich, warum sonst hätte Max sie notieren sollen? Wenn sie nicht geheim gewesen wären, hätte man doch in der Zeitung darüber lesen können. Max musste in der Nacht in das Arbeitszimmer von Asquith geschlichen sein und in dessen Terminkalender und Papieren herumgeschnüffelt haben.
Aber warum hatte er eine Blaupause von einem deutschen U -Boot und Durchschläge von Briefen an den deutschen Reichskanzler, wenn er britische Informationen an die Deutschen weitergab?
Maud hatte keine Antwort darauf und im Moment auch keine Zeit, darüber nachzudenken. Mit zitternden Händen schob sie die Papiere zusammen und steckte das ganze Bündel in ihre Tasche. Sie musste sofort hier raus, weil sie nicht genau wusste, wann Max zurückkehrte. Er konnte jeden Moment im Coburg eintreffen. Außerdem beschloss sie, die Reisetasche wieder mitzunehmen, damit er keine Ahnung hätte, dass sie überhaupt hier gewesen war. Vor dem Hotel würde sie eine Droschke anhalten und den Kutscher bitten, sie zur Downing Street Nr. 10 zu fahren. Dort würde sie Asquith erklären, wo sie gewesen war, und ihm die Papiere geben. Er würde wissen, was damit zu tun wäre.
Maud rückte die Schreibunterlage wieder so hin, wie sie sie vorgefunden hatte, und überzeugte sich, dass alle Schubladen geschlossen waren. Sie stand auf, zog ihren Mantel an und wollte gerade die Reisetasche vom Bett nehmen, als ein Geräusch im Gang sie derart erschreckte, dass ihr fast die Luft wegblieb. Es war Max.
»Max, Liebling, hast du mich vielleicht erschreckt«,
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