Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
verstanden?«
»Jawohl, Hohepriester.« Kerib erhob sich, verbeugte sich und wandte sich um, um den Audienzsaal des Tempels zu verlassen. Nedrin war ein naiver alter Mann, der glaubte, einen Gott töten zu können, ohne selbst Verluste einstecken zu müssen. Kerib schnaubte abfällig. Der Hohepriester hatte nie eine Waffe in der Hand getragen und glaubte, ihm Befehle über die Kunst des Tötens erteilen zu können. Er würde noch alles zerstören mit seiner Einfältigkeit. Es bedurfte jahrhundertelange Forschung ihrer Vorväter, um den auf Erden wandelnden Verfluchten Gott zu entlarven. Nun, da sie seine fleischliche Gestalt kannten, mussten sie ihn um jeden Preis töten, bevor er ihnen auf die Schliche kam und sie alle vernichtete. Doch anders als Nedrin glaubte, reichte ein einzelner Winterelf – noch dazu ein halber Junge – nicht, um den Gott zu töten. Sie mussten die halbe Welt gegen ihn aufwiegeln, mussten dafür sorgen, dass alle, die Recht sprachen, nach ihm suchten und durch Vollzug der Todesstrafe vernichteten. Rinartin war nicht nur der Leiter der Hohen Schule, sondern auch das Staatsoberhaupt von Jadestadt. Außerdem war er schwach, niemand würde ihn vermissen. Wenn man dem Gott einen Mordanschlag auf Rinartin zur Last legen konnte, würde es ihn seinen Kopf kosten. Man würde ihn jagen, bis man ihn schließlich fing, ihn vor Gericht zerren und anschließend töten.
Kerib verließ den Tempel und folgte den Straßen Jadestadts, bis er die Hohe Schule erreichte. Er betrat den Wohnturm, in dem er lebte, und zog sich auf sein Zimmer zurück, um sich zu waschen und nach seinen Gebeten zu den Vier Hohen Göttern zu Bett zu begeben. Die Gedanken, die durch seinen Kopf spukten, ließen ihn lange nicht einschlafen.
Der Gott musste sterben, egal, was dafür nötig war. Und er würde dafür sorgen.
Kapitel 8
Die Mensa war bereits brechend voll, als Serrashil und Carath eintraten. Stimmengewirr erfüllte die Halle, in der sich zahlreiche Tische und Stühle befanden. Es gab kaum noch freie Plätze, aber wofür hatte man Freunde? An ihrem Stammplatz in der rechten Ecke der Halle erspähte Serrashil Kie und Delren, die über ihre Essenstablette gebeugt ihr Frühstück verzehrten.
»Guten Morgen«, grüßte sie die beiden mit einem nur halbherzig unerdrückten Gähnen.
»Da ist aber jemand ausgeschlafen«, kommentierte Kie breit grinsend. »Ist gestern Abend etwas vorgefallen, das ich wissen müsste?«
»Weniger gestern Abend als mehr heute Morgen«, erwiderte Serrashil seufzend und bemerkte erst im nächsten Moment, auf was ihre Freundin angespielt hatte. Das Blut schoss ihr ins Gesicht. »Ich meine natürlich, nichts mit Carath, sondern Seran kam und …«
Kies Augenbrauen wanderten weiter nach oben. »Dir ist schon bewusst, dass man sich bis ans Lebensende an einen Elfen bindet, wenn man mit ihm das Lager teilt?« Sie sah zu Delren. »Tut mir leid, aber ich werde deine Geliebte – oder besser gesagt, ehemalige Geliebte – kurz meucheln müssen. Seran ist nämlich schon für mich reserviert.«
»Kie!«, zischte Serrashil und sah sich besorgt um. Die Studenten an den Nachbarstischen unterhielten sich angeregt und bekamen hoffentlich nicht mit, was ihre Freundin sagte. »Seran hat uns abgeholt, um uns ins Rondarium zu bringen, nichts weiter!«
»Was ist entschieden worden?« Delren sah von seinem Frühstück auf, als würde er erst jetzt bemerken, dass sie sprachen. Serrashil nahm es ihm nicht übel. Diese Ignoriertaktik war notwendig, wenn man mit jemandem wie Kie befreundet war.
»Ich werde aufgenommen«, erklärte Carath, noch ehe Serrashil etwas erwidern konnte. Verwundert warf sie dem Galdana einen Seitenblick zu. Langsam aber sicher schien er auch charakterlich aufzutauen.
Delren lächelte, was augenblicklich Serrashils Herz erwärmte. »Das freut mich für dich, Carath.«
Ein Gongschlag schallte durch die Halle und ließ Serrashil erschrocken zusammenfahren. »Oh nein, wir haben noch gar nichts gegessen!« Hektisch sah sie sich um. Die meisten Studenten verließen bereits ihre Plätze und machten sich auf den Weg zu ihren Unterrichtsstunden. Wenn Serrashil und Carath Glück hatten, würden sie noch ein paar Bissen bei der Essensausgabe abbekommen, aber dann würde sie viel zu spät zu Randefs Unterricht kommen. Und das durfte sie sich nach dem Dilemma vom Vortag nicht erlauben.
Ihr Magen knurrte protestierend, doch Serrashil biss die Zähne zusammen und ignorierte das Hungergefühl, das
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