Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
Seran«, murmelte sie mehr zu sich selbst, doch Mashdin hörte es.
»Seran …«, wiederholte er gedankenverloren.
»Kennst du ihn?«
Er lächelte nachsichtig. »Es ist schwer, so lange zu leben, ohne sich irgendwann und irgendwo einmal begegnet zu sein.«
»Glaubst du, er ist wegen seinem Leben unter den Menschen verrückt geworden?«
»Ich würde ihn nicht als verrückt beschreiben.« Mashdin zögerte einen Augenblick. »Ich kenne ihn nicht gut genug, um ein Urteil über ihn zu fällen, doch ich glaube, dass Seran im Laufe seiner Unendlichkeit gelernt hat, seine Gefühle wegzusperren. Er sieht die Sterblichen kommen und gehen, ohne für etwas in seiner sich wandelnden Umgebung Zuneigung oder Verachtung zu entwickeln. Ob das ein erstrebenswertes Dasein ist, halte ich für fragwürdig. Für mich wäre es nichts.« Er lächelte sie an und straffte die Schultern, ein Zeichen dafür, dass das Thema für ihn erledigt war. »Lass uns weitermachen. Wir haben nur wenig Zeit.«
Sie trainierten den ganzen restlichen Tag miteinander, nur unterbrochen von gelegentlichen Pausen. Ein Mittagessen gab es nicht. Einmal stattete Farva ihnen einen Besuch ab und setzte sich stumm mit seinem Vogel an den Tisch, nur um irgendwann genauso lautlos zu verschwinden, wie er gekommen war.
Serrashil bemühte sich nach Kräften, Mashdins Bewegungen nachzuahmen und genau die richtige Mischung zwischen Lockerheit und Kraft zu finden. Neben Mashdins eleganten Techniken wirkte sie plump und unbeweglich, doch der Utera bewies viel Geduld und zeigte ihr alles wieder und wieder, korrigierte sie und gab ihr Anweisungen.
Zeitgleich mit der Dämmerung traten ihre ersten kleinen Erfolge ein, was Mashdin dazu veranlasste, einen Schritt zurückzutreten und zufrieden zu nicken.
»Das sollte für heute genügen. Verinnerliche dir die Bewegungen im Schlaf, morgen werde ich dir zeigen, wie man damit kämpft und sich verteidigt.«
Serrashil nickte erleichtert. Mit ihrer erbrachten Leistung war sie zwar alles andere als zufrieden, aber es war ein kraftraubendes Training gewesen. Länger hätte sie nicht mehr durchgehalten. Schwerfällig schleppte sie sich hinter ihrem Lehrmeister ins Haus und ins Bad, wo zu ihrer Überraschung bereits ein Kessel mit Wasser auf sie wartete, der über einem Feuer köchelte. Kräuter schwammen darin, die dem Gebräu einen würzigen Duft verliehen. Um sich nicht zu verbrennen, schöpfte sie es mit einem Eimer heraus und goss es in den bereitstehenden Badezuber. Aus einem anderen Eimer kippte sie kaltes Wasser hinzu. Anschließend entkleidete sie sich und ließ sich seufzend in den Zuber sinken. Das warme Bad lockerte ihre verkrampften Muskeln und ließ sie wunderbar entspannen. Immer wieder drohten Serrashil die Augen zuzufallen, doch sie zwang sich, wach zu bleiben. Sie schrubbte sich mit einer Seife den Schweiß vom Körper und stieg aus dem Wasser, um sich abzutrocknen und in die mitgebrachte frische Kleidung zu schlüpfen.
Mithilfe eines Seils, das von einer kompliziert aussehenden Apparatur an der Decke verwunden war, hob sie den Zuber an. Das Badewasser floss durch eine Rille im Boden zu einer Klappe an der Wand, die sich geöffnet hatte, während Serrashil am Seil zog. Nachdem der Zuber leer war, ließ sie das Seil wieder los. Er senkte sich zu Boden und die Klappe schloss sich wieder. Eine praktische Einrichtung.
Nach dem angenehmen Bad gesellte sie sich zu den anderen ins Speisezimmer. Neben Farva und Mashdin ließ sich auch Carath blicken. Der Hunger hatte ihn wohl zurückgetrieben.
Ihre beiden Gastgeber hatten gerade ein Gespräch in einer Sprache beendet, die Serrashil nicht verstand, und ein unangenehmes Schweigen ergriff den kleinen Saal. Paia ließ sich Zeit mit dem Essen.
»Hat dir das Training heute geholfen, Serrashil?«, brach Mashdin das Schweigen ein wenig unbeholfen. »Ich bin nicht geübt darin, andere zu unterrichten.«
»Es war sehr gut, vielen Dank. Wenn ich in den nächsten Tagen ebenso viel lerne, mache ich mir keine Sorgen um meine Prüfung.«
Er lächelte. »Das ist gut.«
Farva kraulte gedankenverloren seinen Vogel, was Serrashil an das Gespräch mit ihm vom Morgen erinnerte. Haelra … Der Utera schien einen ähnlichen Gedankengang zu haben, denn er wandte sich an Carath selbst.
»Ich will dir nicht zu nahe treten, Welpe, doch wo hast du dein Haelra gelassen? Ich kann ihn nicht spüren.«
»Du trittst mir zu nahe«, erwiderte Carath ausdruckslos. Die beiden Winterelfen fixierten
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