Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
ihre Hände vor ihrem Oberkörper. Plötzlich war sie sich ihrer Sache nicht mehr so sicher. Sie war hier, um von Mashdin zu lernen, was schon ein großer Gefallen seinerseits war. Von ihm zu verlangen, auch noch die Lösung ihrer Probleme zu bieten, war bestimmt zuviel. Doch sie hatte den ersten Schritt getan und konnte nun nicht mehr umkehren.
»Was ist ein Haelra?«, begann sie ohne lange Umschweife.
Wenn Mashdin ihr die Frage übelnahm, ließ er es sich nicht anmerken. »Du fragst wegen dem Gespräch am Esstisch, nehme ich an.« Der Utera stützte seinen Kopf auf einen Arm. »Weißt du von den Lebensbäumen meines Volkes?«
Serrashil runzelte die Stirn. Seran hatte ihr und Carath davon erzählt, ehe sie zum Rondarium aufgebrochen waren. »Wenn ihr Utera sterbt und begraben werdet, wachsen Bäume aus euren Herzen«, erwiderte sie unbeholfen. Bei Seran hatte es besser geklungen.
»Das stimmt, aber das ist nicht, was ich meine.« Mashdin schwieg einen Augenblick. »Es ist schwer, es in der Gemeinsprache zu erklären. Die meisten Utera haben schon zu Lebzeiten einen Baum, der ihnen ihre magischen Kräfte verleiht und sie mit Magie speist. Sie sind mit ihrem Leben an diesen Baum gebunden und der Baum mit dem seinen an ihres. Das ist unser Weg, auch nach dem Tod unserer fleischlichen Hülle unserem Volk zu dienen.«
»Du meinst … Diese Bäume waren einmal Utera und werden dann als Energiespeicher genutzt?« Serrashil musterte ihn verständnislos. Es kam ihr fast schon vor wie Leichenfledderei, dem Baum eines verstorbenen Artgenossen die Energie zu entziehen.
»Der Baum wählt sich seinen Utera selbst. Die, die nicht benutzt werden wollen, wählen keinen. Es wird niemand gezwungen.«
»Und wenn ein Utera nicht gewählt wird?«
Mashdin zuckte mit den Schultern. »Dann verfügt er über keinerlei magische Kräfte. Außerdem gilt ein Utera erst als ausgewachsen, wenn er seinen Baum gefunden hat.«
»Ich verstehe … Aber was hat das mit Carath und den Haelra zu tun?«, hakte Serrashil weiter nach, doch schon während sie es fragte, dämmerte ihr die Antwort. Galdana hatten vor Jahrhunderten ebenfalls im Großen Wald gelebt und auch sie hatten diese Bäume besessen. Als sie in die Eiswüste gegangen waren, hatten sie ihre Bäume unmöglich mitnehmen können. Sie runzelte die Stirn, während es in ihrem Kopf arbeitete. Was hatten die Galdana als Ersatz gewählt? Aber hatte Carath nicht davon gesprochen, sein Volk würde Bäume hüten ? Resignierend ließ sie die Schultern sinken. Sie kam nicht darauf.
»Die Galdana haben einen Pakt mit den Tieren der Eiswüste geschlossen und diese haben ihnen ihre Kräfte verliehen. So wie wir Utera an unsere Bäume gebunden sind, sind sie es an ihre Eistiere. Im Gegensatz zu uns können sie ihre Seelentiere immer im Blick behalten und sie sind ihnen gute Gefährten. Während wir jedoch von unseren Bäumen die Wurzeln, Früchte, Zweige und Blätter zur Energiespeicherung benutzen und uns von ihnen entfernen können, müssen Galdana ihre Haelra immer bei sich behalten, wenn sie Magie wirken wollen. Das macht sie allerdings zu einer guten Zielscheibe für Angriffe. Nach meinem Baum wirst du ewig suchen müssen, falls du ihn fällen wolltest, doch Farvas Vogel befindet sich immer in seiner Nähe.«
Serrashils Augen weiteten sich. Solltest du bei Carath ein Stück Baum finden , schossen ihr Serans Worte durch den Kopf. »Können Galdana die Energie, die in euren Wurzeln oder Zweigen steckt, ebenfalls nutzen?«
»Natürlich. Wir geben sie auch oft den Menschen, die magiebegabt sind, denn ohne die Energiespeicher würden sie ihre Zauber mit ihrer Lebenskraft speisen müssen und rasend schnell altern.« Mashdin musterte sie eingehend. »Weißt du, wo Caraths Tier steckt? Ein Galdana ohne Haelra kann sehr gefährlich sein …«
Sie überlegte fieberhaft, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, dass der Winterelf näheren Kontakt zu irgendeinem Tier gehabt hatte. »Nein. Er ist aus heiterem Himmel bei der Hohen Schule aufgetaucht, alleine. Kann es sein …« Sie stockte. »Kann es sein, dass sein Seelentier tot ist?« Das würde Caraths eigentümliches Verhalten erklären, jedoch nicht die Frage beantworten, warum er sich an der Hohen Schule eingeschrieben hatte.
Mashdin schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Dann wäre auch Carath nicht mehr am Leben.« Nachdenklich nahm er das Papier zur Hand, das er vor ihrem Kommen studiert hatte. »Ich werde mit euch zur Hohen Schule reisen,
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