Die Winterprinzessin
mir – mit uns?
»Ich muss morgen abreisen, um jeden Preis«, sagte Jakob plötzlich.
»Du willst davonlaufen?«
Er lachte nervös. »So war es von Anfang an geplant.«
»Ja, das war es wohl.« Doch bei mir dachte ich: Wenn er fort ist, dann bin ich allein. War es wirklich das, was ich wollte? Jakob und ich waren stets unzertrennlich gewesen, und nun sollte das ein Ende haben? Ganz gleich, wie die Dinge zwischen uns lagen, es war ein erschreckender Gedanke.
Er sah mir in die Augen. »Wirst du versuchen, sie wiederzusehen?«
Gegen meinen Willen musste ich lachen. »War nicht eben die beste Gelegenheit dazu?« Dieses Gespräch führte ins Nirgendwo, so ging es nicht weiter. »Lass uns zu Dalberg gehen«, sagte ich. »Er soll endlich mit der Wahrheit herausrücken.«
Jakobs Blick belebte sich. Neugier war stets das beste Mittel gegen seine Gemütsschwankungen. Er sprang auf und warf seine Decke ab. »Ich will nur die nassen Sachen ablegen«, sagte er und eilte hinüber in sein eigenes Zimmer.
Wenig später standen wir vor der Tür zu Dalbergs Empfangssaal. Bernard, der Sekretär, öffnete. »Oh«, meinte er erstaunt, »Sie sind’s.«
»Wir sollten uns heute beim Herrn Minister melden.«
Der Sekretär, ein pausbackiger Kerl in grünem Frack und Rüschenhemd, wand sich in verlegenen Zuckungen. »Herzog von Dalberg erbittet Ihre Vergebung, meine Herren, aber er hat die Stadt für wenige Tage verlassen müssen. Dringliche Geschäfte, nicht voraussehbar, machten dies nötig. Er bat mich, Sie um zwei weitere Tage Geduld zu bitten, bei voller Kost, Logis und Bezahlung, versteht sich.«
»Dies scheint mir ein reichlich ungehöriges Verhalten, mein Herr«, meinte Jakob ohne falschen Respekt. »Wie kann der Minister meinen Bruder einladen und ihm Versprechungen machen, um sich dann auf dringlichere Geschäfte zu berufen?«
Der Sekretär, dem all das recht peinlich zu sein schien, zog den Kopf zwischen die Schultern, die Bewegung einer Schildkröte, die sich in ihrem Panzer versteckt. »Ich erflehe Ihre Verzeihung. Aber glauben Sie mir, der Herr Minister ist vollkommen unabkömmlich. Staatsgeschäfte, Sie wissen schon …«
»Nichts weiß ich«, entgegnete Jakob frech. Sein grober Ton war angebracht, wenn auch zweifellos gewagt. Ich selbst hielt mich wohlweislich zurück; nach wie vor mochte Dalberg mein künftiger Dienstherr sein.
Ein Funken Ärger glühte in den Augen des Sekretärs auf. »Ich kann nur wiederholen, was ich bereits sagte. Herzog von Dalberg ist in zwei Tagen wieder da, und ich bin sicher, er wird sich sogleich um Ihre Belange kümmern. Guten Tag, meine Herren.«
Damit schloss er die Tür vor unserer Nase. Wir standen da wie zurechtgewiesene Schulkinder. Jakob, feuerrot im Gesicht, hob die Faust, um erneut anzuklopfen, doch ich hielt seine Hand zurück. »Lass ihn, er kann nichts dafür.«
Jakob schnaubte verächtlich. »Dieser Emporkömmling!«
»Dalberg trägt die Schuld, nicht er«, sagte ich ohne rechte Überzeugung. Letztlich war es gleich, wer die Entscheidung getroffen hatte.
Wir beschlossen, einen Rundgang durchs Schloss zu machen, wobei ich Jakob überzeugen wollte, noch zwei Tage länger an meiner Seite zu bleiben. So konnten wir gemeinsam den Heimweg antreten, falls sich die Sache zerschlagen würde. Um ehrlich zu sein, begann ich mehr und mehr darauf zu hoffen. Dieses Schloss, diese Stadt, sie waren keine Orte für mich.
Wir hatten kaum zwei Dutzend Schritte getan, da blieb Jakob unvermittelt stehen und sprach einen Diener an, der mit Bettwäsche im Arm den Flur entlangeilte. »Verzeihung.«
Der Mann blieb stehen. »Womit kann ich dienen?«
»Sagen Sie«, bat Jakob, »wer entbindet hier im Schloss die Kinder?«
Der Diener verbarg seine Verwunderung. »Die Gesindekinder oder jene der Herrschaft?«
»Die Kinder der Großherzogin.«
»Doktor Hadrian«, kam nach kurzem Zögern die Antwort.
»Der Doktor Hadrian?«
»Allerdings. Er gilt als einer der Besten im Land.«
»Natürlich.« Jakob dankte ihm, dann setzten wir unseren Weg fort.
»Was hast du vor?«, fragte ich leise, als der Diener außer Hörweite war.
»Ich bin der Ansicht, wir sollten die Dinge ein wenig beschleunigen. Wenn jedermann meint, er müsse geheimnisvoll tun, werden wir eben selbst ein wenig Licht in die Angelegenheit bringen.«
»Du willst diesen Doktor Hadrian aufsuchen?«
»Warum nicht?«
»Dalberg könnte es erfahren.«
»Mir scheint, er hat andere Sorgen.«
»Man wird uns beide hinauswerfen.«
Er
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