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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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als stemme es sich gegen die Nadelspitzen. Doch immer wenn ich genauer hinsah, waren die Schwingen so steif und starr wie alle übrigen.
    »Wie ich bereits sagte: Es geht um den Sohn des Großherzogs«, erklärte Jakob. »Wir glauben zu wissen, dass er noch lebt. Doch bislang fehlt uns die letzte Bestätigung.«
    Hadrians Blick fixierte Jakob. »Was veranlasst Sie zu der Annahme, ich würde Ihnen eine solche Absurdität bestätigen?« Eine berechtigte Frage, wie ich fand.
    »Sie haben uns in Ihrem Haus empfangen und uns in dieses Zimmer gebeten. Mir scheint das Hinweis genug, dass Sie mit uns sprechen wollen.«
    »Um Sie von Ihrer bizarren Überzeugung abzubringen. Der Thronfolger des Großherzogs ist tot. Niemand zweifelt daran.«
    »Haben Sie selbst den Leichnam untersucht?«
    »Ich bringe Kinder zur Welt, nicht unter die Erde«, versetzte der Doktor bissig.
    »Dann wissen Sie vom Tod des Kindes nur aus zweiter Hand?«, fragte ich erstaunt.
    »So ist es.«
    »Demnach können Sie nicht sicher sein«, stellte Jakob fest.
    Hadrian schüttelte den Kopf. »Meine Herren, ich muss doch bitten. Warum hätte man mich – und die ganze Welt – belügen sollen?«
    »Das ist die Frage, die auch uns beschäftigt.«
    »Ich fürchte, die Antwort darauf werden Sie anderswo suchen müssen.« Der Doktor blickte zum Fenster. Das Geäst einer Eibe versperrte die Sicht. Immer noch trieb es Schnee gegen die Scheiben. Mittlerweile war es draußen stockdunkel geworden, obgleich es noch immer Nachmittag war.
    »Und an wen könnten wir uns wenden?«
    »Falls mein Rat Ihnen etwas gilt, so lassen Sie ab von Ihrem Vorhaben. Es wird Ihnen nichts als Unglück bringen.« Zum ersten Mal schien er ehrlich mit uns zu sein.
    Noch während er die Worte aussprach, wusste ich, was sie bei Jakob bewirken mussten. Bislang war die Neugier meines Bruders durch Dalbergs merkwürdiges Verhalten geschürt worden, sicher auch durch die Tatsache, wie viel mir der versprochene Posten bedeutete. Jetzt aber war da mit einem Mal eine Warnung, ganz deutlich ausgesprochen. Und wir begriffen beide, dass weit mehr hinter dem Rätsel um den toten Thronfolger stecken musste, als wir bislang vermutet hatten.
    Draußen krachte ein Donner.
    Es brauchte einen Augenblick, bis mir klar wurde, dass es um diese Jahreszeit kein Gewitter geben konnte. Ebenso wenig wie Schmetterlinge.
    »Haben Sie das gehört?«, fragte Jakob misstrauisch.
    Hadrian war auf einen Schlag kreideweiß geworden. »Das müssen die Jäger des Großherzogs sein. Bei diesem Wetter wagen sich manchmal Wölfe aus den Wäldern bis nahe ans Schloss.«
    Mich überzeugte diese Erklärung keineswegs, und auch Jakob war anzusehen, dass er sie schlichtweg für eine Lüge hielt.
    Da krachte es zum zweiten Mal. Etwas zerbarst. Eine Tür.
    Jakob eilte ans Fenster. »Da bricht jemand in Ihr Haus ein!«
    Ich sprang an seine Seite und blickte hinaus in den Schneesturm. Ich sah nichts außer Eiswehen und den Umriss der Eibe.
    »Was glauben Sie, wer …« Ich brach ab, als ich erkannte, dass Hadrian das Zimmer verlassen hatte. Die Tür stand offen, er selbst war verschwunden.
    Auf dem Flur herrschte Stille. Keine Schritte.
    Wir blickten zögernd hinaus. Das Licht aus dem Zimmer reichte nicht weit, jenseits davon herrschte Dunkelheit. Die andere Tür, die bei unserer Ankunft aufgestanden hatte, war nun geschlossen.
    »Lass uns warten, bis er zurückkommt«, flüsterte ich.
    »Um nie zu erfahren, was hier vorgeht?«, entgegnete Jakob. »Du kannst ja warten, wenn du willst. Ich sehe nach, wohin er gegangen ist.«
    Natürlich wusste er, dass ich um keinen Preis allein bleiben würde. Er nahm den Kerzenleuchter und trat an mir vorbei durch die Tür. Der Schein der zuckenden Flammen reichte nur wenige Schritte weit. Verschnörkelte Zierrahmen, kunstvolle Statuen und Möbelstücke schälten sich aus der Finsternis – und immer wieder schwere Brokatvorhänge an den Wänden. Nichts rührte sich. Vor der Tür, aus der zuvor ein Lichtspalt gefallen war, blieben wir stehen und lauschten. Auch dahinter herrschte Schweigen. Ganz langsam drückte Jakob die Klinke herunter.
    Der Raum war leer bis auf einen Diwan, einen Tisch und zwei Stühle. Einer davon lag umgestürzt am Boden. Mehrere Kerzen flackerten im Luftzug, der vom Korridor hereinwehte. Nanette, das Dienstmädchen, war fort.
    Ein Rascheln! Unten im Erdgeschoss.
    Mit bangen Herzen eilten wir leise den Gang hinab zur Treppe. Neben dem Geländer baumelte eine goldene Zierkordel aus

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