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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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bestellten, hätte man mehr Geschmack erwarten dürfen.
    Jakob erklärte ihm, was uns nach Karlsruhe geführt hatte. Ganz offen erwähnte er die Geburt des Herzogskindes und dessen angeblichen Tod.
    »Wieso angeblich?«, hakte Hadrian nach und musterte Jakob verkniffen. Lauernd fügte er hinzu: »Haben Sie Zweifel daran?«
    Jakob ließ alle Höflichkeit fahren. »Natürlich, und Sie wissen, dass es allen Grund dazu gibt. Ich bitte Sie, Herr Doktor, wir alle drei kennen die Wahrheit.«
    Hadrians Hand mit dem Kerzenleuchter ruckte vor, erhellte noch einmal Jakobs, dann mein eigenes Gesicht, als wolle er sichergehen, dass er uns wirklich nicht kannte. »Folgen Sie mir«, sagte er dann und führte uns die Treppe hinauf.
    Ich nickte Jakob anerkennend zu, obgleich mir keineswegs wohl dabei war. Während wir Hadrian nach oben folgten, bemühte ich mich, einen Blick hinter die Brokatvorhänge an den Wänden zu werfen. Vergeblich.
    Er führte uns einen dunklen Flur entlang. Durch den Spalt einer angelehnten Tür fiel Licht. Hadrian schob uns daran vorüber in ein anderes Zimmer.
    »Warten Sie hier«, bat er mürrisch. »Ich habe eine Patientin.«
    Als hätte es noch einer Bestätigung seiner Worte bedurft, rief im selben Moment auf dem Flur eine weibliche Stimme: »Doktor?«
    Hadrian drückte mir den Leuchter in die Hand. »Hier, nehmen Sie und entzünden Sie die übrigen Kerzen im Zimmer. Ich bin gleich bei Ihnen.«
    Damit schloss er die Tür und ließ uns allein. Ich fand mehrere Kerzen und ließ die Flammen überspringen. Wenig später erfüllte flackernde Behaglichkeit den Raum.
    Der Anblick des Zimmers war verblüffend. Schmetterlinge bedeckten die Wände; Tausende und Abertausende steckten mit gespreizten Flügeln auf langen Nadeln. Im Abstand von einem Schritt zur Wand verlief rundherum eine Absperrung aus dickem Tau, die wohl verhindern sollte, dass ein unkundiger Besucher eines der empfindlichen Tiere berührte. Die Anwesenheit all dieser Kadaver, mochten es auch nur Insekten sein, erfüllte mich mit Unruhe. Und mehr noch verstörte mich der erste Satz des Doktors, als er schließlich zu uns zurückkehrte:
    »Ich habe so viele Mal das Leben geschenkt, dass es mir vergönnt sein muss, auch gelegentlich den Tod zu bringen.«
    Er sagte das, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. »Ich möchte Ihnen etwas geben.« Aus dem Fach eines Eichensekretärs zog er einen Papierstapel. Er hob die beiden oberen Blätter ab und reichte sie uns, jedem eines. Es war die gedruckte Zeichnung eines Schmetterlings mit großen weißen Flügeln, deren Muster entfernt an Schneekristalle erinnerten.
    »Er fliegt nur im Winter«, erklärte Hadrian und schien unsere Reaktion zu beobachten. »Es ist der Einzige, der noch in meiner Sammlung fehlt. Falls Sie einen entdecken sollten, fangen Sie ihn für mich. Ich würde alles dafür geben.«
    Etwas stimmte nicht mit ihm. Er mochte den Anschein erwecken, als sei er ein wenig verrückt, doch irgendwie zweifelte ich daran. Vielmehr schien mir, als hätte er Angst. Aber Angst wovor? Sicher nicht vor uns. Und was bezweckte er mit seiner Bemerkung über Schmetterlinge im Winter? Jedes Kind wusste, dass das unmöglich war.
    Jakob steckte die Zeichnung mit solcher Gelassenheit ein, als sei es ein Leichtes, die Bitte des Doktors zu erfüllen.
    »Ich hoffe, wir stören Sie nicht«, sagte er. »Wir konnten nicht ahnen, dass es bei solchem Wetter Patienten hierher verschlägt.«
    Wenn er damit unterstellen wollte, die Frau, deren Stimme wir vernommen hatten, sei in Wahrheit aus anderen, vielleicht galanten Gründen im Haus, so verhallte die Anspielung unbemerkt.
    Ein vages Lächeln zuckte über Hadrians Züge. »Es ist nur Nanette, meine Dienstmagd. Sie wird in wenigen Wochen ein Kind zur Welt bringen und hat sich mir anvertraut.«
    »Ich nahm an, der Preis Ihrer Fürsorge überstiege das Einkommen einer Bediensteten«, bemerkte Jakob.
    Hadrian blieb gelassen. »Nanette gehört sozusagen zur Familie.
    Ich könnte es nicht ertragen, würde sie sich mit ihren Sorgen an einen anderen, womöglich einen Quacksalber wenden. Nein, natürlich bin ich umsonst für sie da.« Das sprach immerhin für ihn als Ehrenmann. »Aber deshalb sind Sie nicht hergekommen«, fügte er hinzu. »Verzeihen Sie, wenn ich Sie zur Eile dränge.«
    Er bat uns nicht, Platz zu nehmen, und so standen wir alle drei in der Mitte des Zimmers. Manchmal war mir, als beginne eines der toten Flügelpaare zu schlagen, ganz sachte nur,

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