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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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unter ihren Augen lagen dunkle Ringe.
    »Dalberg meinte, es geht ihr schon besser.« Ich trat vor und ging neben dem Bett in die Hocke.
    »Der Arzt hat ihr eine Medizin verabreicht, die sie schlafen lässt«, erklärte Jakob. »Vor heute Mittag wird sie nicht aufwachen.«
    Das Braun ihrer Haut schien ein wenig farbloser als sonst, mit einem Stich ins Graue. Nein, wohlauf war sie keineswegs.
    »Stimmt es, dass sie schon wieder gehen kann?«
    »Ein paar Schritte. Sie scheint auch kaum noch Schmerzen zu haben.«
    Ich erinnerte mich an Kalas Fakirkräfte, an seine Unempfindlichkeit, solange er wach war. Und sogleich begriff ich, was das bedeutete.
    »Sie darf nicht schlafen!« Ich sprang auf.
    Jakob blickte mich verwundert an. »Wie meinst du das?«
    »Sie kann sich nur selbst heilen, solange sie nicht schläft. Sie muss sich auf die Wunde konzentrieren können. Glaube mir, ich habe gesehen, wie es wirkt.«
    Er schüttelte sanft den Kopf. »Das ist unmöglich. Wir können sie nicht wecken. Selbst ohne die Medizin würden wir sie kaum wachbekommen. Sie hat seit mindestens zwei Tagen kein Auge zugetan.«
    »Zwei Tage?«, rief ich ungläubig aus. »Wir sind – «
    »Seit zwei Tagen wieder im Schloss, allerdings.« Jakob lächelte väterlich. »Du hast die ganze Zeit geschlafen. Ich habe abwechselnd an deinem und an ihrem Bett gewacht, zwei Tage und zwei Nächte lang.«
    Zum ersten Mal betrachtete ich ihn genauer und erschrak. Jakobs Blick war wie verschleiert und zuckte fahrig hierhin und dorthin, als suche er einen Punkt, an dem er endlich zur Ruhe kommen könne. Er war völlig übermüdet.
    Ich ergriff seine Hand. »Verzeih mir, Jakob. Ich … ich stürme hier herein und habe nur Augen für sie. Dabei hast du – «
    »Nein«, unterbrach er sanft, »du musst mir verzeihen. Als du aufgewacht bist, hätte ich an deinem Bett sein müssen. Stattdessen war ich bei ihr.«
    »Was geschieht mit uns, Jakob?«
    »Denk an die Geschichte der Märchenfrau.«
    Ich schüttelte entschieden den Kopf. »Soweit wird es nicht kommen.«
    »Nein«, entgegnete er müde, »gewiss nicht.«
    Eine Weile lang herrschte unangenehmes Schweigen, dann fiel mir etwas ein.
    »Die Märchenfrau! Warum war sie mit dir und Dalberg im Wald?«
    »Hat Dalberg dir das nicht erzählt?«
    »Nein, er hatte andere Sorgen.«
    »Stanhope?«
    »Du weißt davon?«
    Jakob zuckte mit den Achseln. »Dazu gehört nicht viel, nach allem, was Hadrian gesagt hat. Und dann die Tatsache, dass er nirgends in der Abtei zu finden war, aber auch nicht zum Schloss zurückgekehrt ist. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder, er ist tot und seine Leiche verschwunden, oder aber er hat sich aus dem Staub gemacht. So wie ich Stanhope einschätze, scheint mir die zweite Möglichkeit wahrscheinlicher.«
    Der gute Jakob! Auf der Straße des Logos allen anderen immer um einen Schritt voraus. Selbst jetzt noch.
    In kurzen Worten berichtete ich ihm, was vorgefallen war. Allein die Stunden in Jades Umarmung verschwieg ich. Wahrscheinlich ahnte er ohnehin die Wahrheit.
    Schließlich war es an ihm, zu erzählen.
    »Am Morgen, nachdem du abgereist warst, versuchte ich, eine Kutsche für die Heimfahrt zu finden«, begann er. »Doch alle, die ich fragte, vertrösteten mich auf den nächsten Tag, und so blieb mir nichts übrig, als einen weiteren Tag im Schloss zu verbringen. Ich schlenderte ein wenig umher, besah mir die Bibliothek – übrigens gibt es dort einige seltene Stücke, doch ihr Gesamtzustand ist wenig erfreulich. Ich langweilte mich fast zu Tode und ging früh zu Bett. Am nächsten Morgen wurde ich von einem leisen Klopfen an meiner Tür geweckt. Ich nahm an, es sei ein Diener, und öffnete. Sicher kannst du dir mein Erstaunen vorstellen, als jemand gänzlich anderes vor mir stand, nämlich die alte Runhild.«
    »Was wollte sie?«
    »Gemach, lieber Bruder, gemach.« Da war sie wieder, diese Überheblichkeit, mit der er mich so oft zur Weißglut brachte. Freilich war ich viel zu erregt, um mich nun daran zu stören. So schwieg ich denn ergeben und hörte weiter zu.
    »Erinnerst du dich an all die Tiegel und Töpfe im Haus der Märchenfrau?«, fragte er.
    »Natürlich.« Die Wände waren ja bis obenhin voll davon gewesen.
    »Aber du weißt nicht, wofür sie sie verwendet.«
    »Woher auch?«
    Ein erschöpftes Lächeln zeichnete sich auf seinen Zügen ab.
    »Nun, Runhild dreht Kerzen. In allen Formen, Farben und Größen. Kerzen mit hundert verschiedenen Düften, von schlichten, glatten

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