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Die wir am meisten lieben - Roman

Die wir am meisten lieben - Roman

Titel: Die wir am meisten lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Vielleicht weniger Anspannung. Vergiss die Augenbraue. Mach es mit den Augen, nur mit den Augen. Gefühlstief. Das war’s. Das war gut.
    Auf einmal erschien Diane in der Ecke des Spiegels. Sie stand in der Tür.
    »Darf ich reinkommen?«
    »Klar.«
    Diane näherte sich ihm zögerlich, als sei sie nicht sicher, was sie erwartete. Das provozierte Ärger in ihm und gleichzeitig Verlangen. Seit vergangener Nacht hatten sie nicht miteinander gesprochen. Diane hatte früh am Morgen drehen müssen und war schon fort gewesen, als er aufwachte. Die ganze Woche lang hatten sie nicht miteinander geschlafen.
    Sie blieb vor ihm stehen, ihre Hände berührten seine nackte Brust.
    »Wo bist du?«, fragte sie leise.
    »Was meinst du?«
    »Du weißt, was ich meine. Du bist so kühl und distanziert.«
    »Ich bin hier.«
    Sie küsste ihn zögerlich auf den Mund. Für einen lächerlichen, kindischen Augenblick reagierte er nicht. Dann öffnete er seine Lippen, schob die Hände unter ihre Bluse, streichelte ihre Kurven, bis zur Brust.
    »Ich will mit dir schlafen«, sagte er.
    »Jetzt nicht, Liebling.«
    »Komm schon.«
    »Später.«
    »Vergiss es.«
    Er stieß sie von sich, gegen den Tisch. Das Tablett mit dem Mittagessen und das Glas Orangensaft landeten auf dem Boden.
    »Um Himmels willen, Ray. Was ist denn in dich gefahren?«
    »Verschwinde einfach.«
     
    |248| Sie erreichten die Spitze des Berges kurz vor fünf. Die Hufe der Pferde klapperten und kratzten auf dem heißen Sandstein. Im Westen türmten sich Wolken. Diane hatte frei, und da Ray sie augenscheinlich nicht in seiner Nähe haben wollte, hatte sie beschlossen, Cal und Tommy zu begleiten. Sie suchte die Gesellschaft, doch sie war noch zu verletzt, um in Stimmung für eine Unterhaltung zu sein, und so ließ sie die beiden voranreiten. Tommy hatte sie schon zweimal gefragt, ob alles gut sei. Sie hatte bejaht und gesagt, er solle aufhören, so ein Theater zu machen. Er und Cal redeten ohne Punkt und Komma. Gott sei Dank, dachte sie, dass im Leben des Jungen wenigstens ein seelisch gesunder Mann existierte.
    Cal hatte einen alten Navajo in Medicine Springs kennengelernt, der ihm gesagt hatte, wo sie die Felsmalereien finden konnten. Trotzdem hatten die drei einige Mühe. Endlich erreichten sie die Schlucht, die der alte Mann beschrieben hatte. Sie verlief von Norden nach Süden auf der einen Seite des Berges, wie der Riss in einem Ei, wenn man es mit einem Messer aufgeschlagen hatte.
    Sie ließen die Pferde grasen und kletterten in die kühle Schlucht hinunter. An einigen Stellen waren die Wände steil. Manche der groben Stufen und Einkerbungen, die zum Klettern in den Sandstein gemeißelt worden waren, waren abgebröckelt oder ausgetreten. Cal musste Tommy und Diane hochziehen oder herabhelfen.
    An der einen Seite der Schlucht verlief ein Felsenriff, das etwa zwei Meter breit war. Dort war der Fels zu engen Höhlen ausgehauen. Cal sagte, dass früher Menschen darin gelebt hätten, man kenne sie heute unter dem Namen Anasazi, aber das sei wahrscheinlich nicht ihr richtiger Name. Ein altes Wort der Navajo für Feind.
    »Genau das hast du mir von den Sioux erzählt«, sagte Tommy. »So haben ihre Feinde sie genannt.«
    |249| »Richtig. Die Oglala, die Lakota und die anderen nannten sich nicht Sioux.«
    »Was ist aus den Menschen geworden, die hier gelebt haben?«, fragte Diane.
    »Das weiß niemand. Sie verschwanden. Vor ungefähr eintausend Jahren.«
    »Vielleicht waren sie sich selbst der ärgste Feind«, sagte Diane.
    »Möglich.«
    »Mit Sicherheit.«
    Cal sah sie an und lächelte sympathisch. Diane wusste, dass er die Anspielung auf Ray verstanden hatte.
    Sie fanden die Bilder an einem Vorsprung am hinteren Ende der Felsen. Nur zwanzig Meter weiter fiel die Schlucht in eine schwindelerregende Rinne ab. In der Ferne konnte man die Stadt dreihundert Meter unter ihnen erkennen. Sie suchten sich einen sicheren Punkt und betrachteten die Bilder. Diane hatte einmal Fotos von Felsmalereien in einer Höhle in Frankreich gesehen, Jagdszenen, Figuren, die Speere warfen und Pfeile auf fliehende Tiere schossen. Diese Malereien hier waren ganz anders. Erst nach einer Weile kam sie dahinter, was sie sah. Zunächst war da eine Reihe von Vasen oder Flaschen, jede ungefähr zwei Meter groß. Manche in Gruppen, andere allein, alle in tiefem Blutrot am ockerfarbenen Gestein. Dann wurde ihr klar, dass es sich um Figuren handelte, silhouettenhafte Köpfe und Schultern, die sich nach unten hin

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