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Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Titel: Die Witwen von Paradise Bay - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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tropft auf ihren Schlafanzug.
    Howie nippt, ausgerechnet vor Quentins Augen, im Sessel meines Vaters an einem Scotch, ich blättere durch eine alte Ausgabe der US Weekly . Die Spannung, die aus unserem nächtlichen Gespräch herrührt, hat zwischen uns gestanden wie eine unsichtbare, uneinnehmbare Festung. Seine Worte hallen in mir nach. Ob auch er alles immer wieder durchgeht, oder hat er unsere Worte schon vergessen und plant bereits seine Rückreise?
    Burl Ives singt im Radio »Holly Jolly Christmas«, im Fernsehen folgt die Wettervorhersage, mit dem Bericht über diese Reise des Weihnachtsmanns. Als es gerade heißt, sein Schlitten sei über den Alpen gesichtet worden, bittet Quentin seinen Vater um ein Glas Scotch.
    »Dann bin ich endlich ’n Mann. Bitte, Dad.«
    »Nein«, sagt Howie kurz und knapp.
    »Ach, Dad, na komm, würdest du den heutigen Abend ohne Alkohol packen?«
    Howie lacht, so wie er früher über die drolligen Sprüche gelacht hat, die Quentin als kleiner Junge von sich gegeben hat. »Vermutlich nicht«, gibt er zu.
    »Dann hast du ja ’ne Ahnung, wie’s mir geht. Ich langweil mich zu Tode. Nur ein Schluck. Ich werd mich nicht betrinken, ehrlich. Wär’s dir denn nicht lieber, ich trinke mit meinen Eltern als mit Gott weiß wem?«
    Nicht zum ersten Mal an diesem Tag bedaure ich, dass Quentin während der Feiertage hier ist. Was hatte ich denn erwartet? Dass er lachend unter dem Baum sitzen und sich im Glanz der Festtage sonnen würde? Quentin ist kein Kind mehr, der Weihnachtsmann, neue Spielzeuge und Zuckerstangen haben längst ihren Zauber verloren, und damit die Festtage auch für mich.
    Als Charlie überraschend erscheint, sind wir alle dankbar, vor allem Quentin. Er strahlt beim Anblick seines Lieblingsonkels.
    »Allmächtiger«, sagt Charlie angesichts des dunklen Zimmers. »Ihr macht euch also ’nen echt netten Abend, was? Ich würde mich erschießen, wenn ich die nächsten Tage mit euch verbringen müsste. Holt den Scheißalkohol raus oder meinetwegen die Spielkarten, aber tut was.«
    »Charlie!« Ich begrüße meinen Bruder viel zu überschwänglich. »Komm rein, komm rein. Nimm dir was zu trinken. Ich hatte gar nicht mit dir gerechnet.«
    »Ich wollte nur kurz Moms Weihnachtsgeschenk vorbeibringen. Es ist draußen in diesem Scheißwagen. Hilfst du mir mal, kleiner Scheißer?« Quentin springt bereitwillig auf.
    »Na los, Mann, du auch«, sagt Charlie zu Howie, der langsam und mit argwöhnischer Miene aufsteht. Für welches Weihnachtsgeschenk braucht man zwei starke Männer und einen Teenager?
    Als sie einen Sarg samt roter Schleife hereintragen, gebe ich mich geschlagen. Ich würde gerne genügend Wut und Empörung aufbringen, um Charlie eine richtige Abreibung zu verpassen, aber ich bin die Streiterei so leid – mit meinem Bruder, meiner Mutter, meinem Sohn, meinem Ehemann. Ich bin es so leid, Mom zu sagen, dass sie nicht bald sterben wird. Ich habe es ihr heute schon vierzehn Mal gesagt, aber sie beharrt immer noch darauf, dass die Erscheinung der verdammten Jungfrau keinen anderen Schluss zulässt. Charlie sieht mich vorsichtig an, auch Howie. Sie erwarten wohl beide, dass ich tobe, doch ich weigere mich.
    Meine Mutter ist von dem Rumoren wach geworden und rollt näher heran. Sie inspiziert den Sarg wie ein großes Möbelstück, dessen Anschaffung sie erwägt. Sie fährt mit der faltigen Hand über das glatte, dunkel gebeizte Holz und klopft mit ihren geschwollenen Knöcheln darauf, prüft seine Stärke und Beständigkeit.
    »Er ist wunderschön, Charlie«, sagt sie, als hätte er ihr eine seltene Blume oder einen funkelnden Edelstein überreicht. Sie bittet Charlie, den Sarg zu öffnen, und was sich dann zeigt, raubt sogar mir den Atem: Im Innern ist ein Bild gemalt, der Blick aus dem Küchenfenster, eine wunderschöne Landschaft, mit sanften Hügeln, gewundenen Wegen, Wildblumen und in der Ferne dem Meer. »Wunderschön«, sagt Mom zu Charlie.
    »Die Idee stammt vom kleinen Scheißer«, sagt Charlie. »Er hat mir sehr geholfen.«
    Alle blicken zu Quentin, dem so viel Aufmerksamkeit peinlich ist. Ich hatte keine Ahnung, dass mein Sohn solches Talent besitzt.
    »Jetzt helft mir mal rein«, sagt Mom und sieht mich an.
    »Ich helf dir da nicht rein«, sage ich und schüttle den Kopf.
    »Wie soll ich denn wissen, ob ich reinpasse?«
    »Das ist doch egal, wenn du tot bist«, wirft Charlie ein.
    »Ich will nur sichergehen, dass er groß genug ist.«
    »Du bist winzig«, weist Charlie

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