Die Witwen von Paradise Bay - Roman
sie zurecht. »Du würdest sogar in einen meiner Schuhkartons passen. Natürlich ist er groß genug.«
Quentin bietet an, Probe zu liegen, und bevor ich protestieren kann, legt er sich schon in das Weihnachtsgeschenk meiner Mutter und mimt Dracula. Beim Anblick meines Sohnes in einem Sarg läuft es mir kalt den Rücken hinunter.
»Komm sofort da raus«, sagt Howie unwirsch. Auf ihn hat die Szene offenbar einen ähnlichen Effekt.
»Hier ist es so krass langweilig«, klagt Quentin. »Hier versteht echt niemand Spaß.«
Dabei verstehe ich Spaß. Probleme habe ich nur mit der ernsten Wirklichkeit.
Kapitel 37
Lottie
An unserem ersten gemeinsamen Weihnachten habe ich Ches gefragt, ob meine Eltern zum Essen kommen könnten. Ich war im sechsten Monat schwanger, und wir wussten bereits, dass wir niemals ein leidenschaftlich verliebtes Paar würden. Dennoch hatten wir versucht, das Beste aus der Situation zu machen, und gehofft, die Liebe werde mit der Geburt unseres Kindes erblühen. Ches hatte geantwortet, dass er lieber einen ruhigen Tag mit mir verbringen würde, da das Baby unser Leben bald auf den Kopf stellen würde, was besser klang als es wurde. Ches lag den ganzen ruhigen Tag dösend auf der Couch vor dem Fernseher, während ich versuchte, mich nicht zu übergeben, während ich den Hals und den Beutel mit den Innereien aus dem Truthahn zog.
An unserem zweiten gemeinsamen Weihnachten begann Marianne gerade zu krabbeln. Ich hatte vorgeschlagen, zu meinen Eltern zu gehen, damit sie den Feiertag mit ihrem einzigen Enkelkind verbringen konnten und ich nicht kochen musste. Unsere Versöhnung lag gerade vier Monate zurück, und Ches versuchte noch, all seine Versprechen zu halten. Meine Eltern machten eine abfällige Bemerkung nach der anderen über ihn, sie lästerten über seinen Job, seine Unfähigkeit als Ernährer, sogar über seine knittrige Kleidung. Das zu kommentieren war wirklich nicht fair, denn ich war ja für das Bügeln zuständig. Ches kochte vor Wut, sagte aber kein einziges Wort zu seiner Verteidigung. An unserem dritten gemeinsamen Weihnachten wagte ich nicht mehr, meine Eltern zu erwähnen, und im Jahr darauf waren sie schon nach Calgary gezogen, zu meiner Schwester und ihrem ach so tollen Jacuzzi.
Jahr um Jahr waren wir an Weihnachten zu dritt: Ches, Marianne und ich. Wir hatten weder Vettern noch Cousinen, keine Tanten, Onkel, Brüder oder Schwestern, die eine festliche Stimmung zaubern konnten, und deshalb habe ich jedes Jahr wohl zu sehr versucht, Weihnachten zu etwas ganz Besonderem werden zu lassen. Es musste ein echter Baum sein, damit Tannenduft durchs Haus zog, ich nippte an selbstgemachtem Glühwein, band um jedes Geschenk eine Schleife, obwohl Ches das für Geldverschwendung hielt, briet jedes Jahr ergeben meinen Truthahn, obwohl ein Huhn gereicht hätte, sprach noch vom Weihnachtsmann, als Marianne schon längst nicht mehr an ihn glaubte, und summte die Lieder aus dem Radio mit, bis Ches brüllte, ich solle verdammt noch mal Ruhe geben, er könne den Fernseher nicht verstehen. Trotz all meiner Anstrengungen hat sich Weihnachten immer entsetzlich in die Länge gezogen, vor allem ohne geladene oder spontane Gäste.
Ohne Ches sehe ich keinen Grund, so zu tun, als sei Weihnachten etwas Besonderes. Ein Weihnachtsbaum kann mir dieses Jahr gestohlen bleiben. Angebote und Rabatte ignoriere ich und meide im Drogeriemarkt den Gang, in dem Dekoration, Geschenkpapier und Schokolade stehen. Es stimmt mich traurig, dass ich nicht einmal mehr die Fassade aufrechterhalte, und genau deshalb beschließe ich in letzter Minute, Prissy und Georgia zum Essen einzuladen. Ich möchte mit Freunden feiern und nicht darüber nachgrübeln, dass Ches nach siebzehn gemeinsamen Weihnachtsfesten nicht mehr da ist und Marianne lieber mit ihren Freunden als mit ihrer Mutter feiern will.
Ich decke den Tisch mit Duftkerzen und meinem edelsten Leinen, ich stelle sogar einen Baum auf, obwohl die guten längst verkauft waren und mein Baum schiefe Äste mit großen Lücken hat. Er nadelt jetzt schon auf den Wohnzimmerteppich, aber das ist mir egal. Ich kaufe einen acht Kilogramm schweren Truthahn, den größten überhaupt, und hoffe, dass ich für so einen gewaltigen Vogel den passenden Topf besitze.
Da ich keinen Mixer habe, muss ich das Brot für die Füllung mühsam mit der Hand in winzige Stückchen zupfen. Meine Gedanken schweifen ab. Was würde Ches von unseren Gästen halten? Würde er aus dem Bett kommen und sich
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