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Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Titel: Die Witwen von Paradise Bay - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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im Schlafanzug auf dem Friedhof stehe, um einen Toten zu ehren.
    Sein Kopf fährt hoch, er sieht mich an. »Sind Sie die Frau, deren Mann sich an der Eisbahn vergast hat?«
    »Nein, mein Mann ist vor langer Zeit gestorben, bei einem Autounfall.«
    »Das is’ echt übel … Sagen Sie … würden Sie mir ’n Bier besorgen? Ich war schon in zwei Läden und hab auch Geld, aber meinen Ausweis nicht mit.« Dabei ist er viel zu jung, um zu trinken, und selbst für den Führerschein ist er nicht alt genug. »Ich geb Ihnen ’nen Zwanziger«, ergänzt er, als ich nicht gleich reagiere.
    »Wieso willst du denn ein Bier?«
    Er sieht mich erstaunt an. »Das ist doch klar, oder?«
    Ich muss lächeln. Dem Jungen gelingt es tatsächlich, mich abzulenken und den Grund, weshalb ich hergekommen bin, beiseitezuschieben. Irgendetwas an ihm wirkt vertraut, aber erst als ich seine blauen Augen sehe, weiß ich, was. »Du bist der Sohn von Prissy?«
    »Nein«, erwidert er zu rasch.
    »Weiß deine Mutter, wo du bist?«
    »Vielleicht«, nuschelt er wieder, die blauen Augen auf seine Schuhe geheftet. »Sagen Sie ihr nicht, dass ich Sie um Bier gefragt hab, okay? Sonst flippt sie voll aus.«
    »Sie hat so viel durchlitten. Warum machst du ihr auch noch Stress, läufst nachts weg und handelst dir Ärger ein?« Der Junge zuckt lässig mit den Schultern. In mir regt sich Mitleid. Er musste schon einiges verschmerzen, und doch liegt noch so vieles vor ihm und auch vor Prissy. »Das mit deinem Vater tut mir sehr leid«, sage ich.
    »Mein Vater ist ein Arsch!« Zum ersten Mal während unserer Unterhaltung sieht er mir in die Augen und spricht deutlich.
    »Es ist okay, wütend auf ihn zu sein, weil er gestorben ist. Du fühlst dich deshalb sicher verraten und verletzt.«
    »Quatsch von wegen tot«, schnauft er. »Mein Alter vögelt nur rum, mehr nicht. Das Ganze ist kompletter Schwachsinn. Also, kaufen Sie mir jetzt ein Bier oder nicht?«
    Mir klappt der Kiefer runter, und ich starre dämlich geradeaus. Diese Worte wollen erst einmal verdaut werden. Prissy ist letzte Woche zwei Mal mit mir zum Markt gekommen, und ich finde ihre Gesellschaft sehr angenehm, obwohl sie sich weigert, über Howie zu reden. Weder seine Krankheit noch die Beerdigung noch ihre Zukunft sind ein Thema. Sie bleibt lieber auf sicherem Terrain und unterhält sich über das Wetter oder den Erfolg unseres Markts. Für einen Moment ziehe ich in Erwägung, der Junge habe die Wahrheit gesagt, verwerfe den Gedanken aber gleich wieder. Schließlich hatte Clara erwähnt, wie schwer das alles für ihren Enkel sei und dass er die Wahrheit bis jetzt nicht akzeptieren könne. Ich habe mich auch monatelang geweigert, über Joseph zu sprechen, und glaubte wochenlang, Joseph wäre noch irgendwo am Leben. Der arme Junge versucht nur, mit der Tatsache zurechtzukommen, dass sein Vater nicht wiederkehrt.
    »Okay«, sage ich. »Ich besorg dir ein Bier. Komm ins Auto.«
    Er kann sein Glück kaum fassen, aber natürlich halte ich nicht am 24-Stunden-Supermarkt. Der Junge verflucht mich leise. Als ich vor dem Haus seiner Großmutter anhalte und seine Mutter völlig aufgelöst die Auffahrt hinunterläuft und dabei unentwegt seinen Namen ruft, sieht er mich mit einem so waidwunden Blick an, dass es mir das Herz bricht.

Kapitel 11
    Prissy
    Ich bekomme vor lauter Nervosität kaum mit, was bei Howies Gedenkgottesdienst vor sich geht, denn ich habe wahnsinnige Angst, er könnte in seine eigene Trauerfeier platzen. Ich sehe es schon vor mir, wie alle nach Luft schnappen und mit dem Finger auf uns zeigen, und zum krönenden Abschluss werden meine Mutter und ich öffentlich gesteinigt. Ich habe Mom natürlich nicht erzählt, dass ich Howie, nachdem Quentin weggelaufen war, vom Auto aus angerufen habe. Ich hatte angenommen, mein Sohn sei deshalb spurlos verschwunden, um nach Hause zu laufen, nicht von zu Hause fort. Ich vermutete Quentin auf dem Weg zum Flughafen. Hier war es zwar fast Mitternacht, aber in Toronto erst halb elf, und ich hatte gehofft, Howie würde die späte Stunde nicht bemerken.
    »Hast du von Quentin gehört?«, fragte ich, sobald er an sein Handy ging.
    »Nein.« Danach war eine Pause, während der wir beide spürten, wie im anderen Panik aufstieg. »Prissy, ist alles in Ordnung?«
    »Ja«, erwiderte ich ein wenig zu schnell. »Alles bestens. Er wollte dir nur erzählen, dass er heute einen Elch beobachtet hat. Das Tier ist durch den Garten gelaufen, wir konnten es ganz deutlich vom

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