Die Witwen von Paradise Bay - Roman
hatte ich mir keine Gedanken gemacht. »Wozu brauchen wir einen Namen?«
Lottie sieht mich an, als wäre ich beschränkt. »Damit wir öffentliche Fördermittel beantragen können. Wenn Fred Bishop einen Zuschuss für den Regionalmarkt erhält, dann kann unsere Gruppe so was auch.«
Die Idee, öffentliche Zuschüsse zu beantragen, war mir nicht gekommen, und darum geht es mir auch gar nicht. Ich wollte bloß meine Gedanken und Gefühle mit Lottie und Prissy teilen, damit sie die Trauer bewältigen können, damit ich die Trauer bewältigen und eines Tages aufwachen kann und keine 100 Pfund an meinen Beinen hängen. Ich denke über Lotties Vorschlag nach. Die winzig kleine Möglichkeit, dass Josephs Tod doch nicht gänzlich sinnlos gewesen wäre, wenn irgendjemand irgendwo von unserer Selbsthilfegruppe profitieren könnte, tröstet mich ein wenig. »Wie wäre es mit Junge Witwen aus Paradise Bay?«
Lottie wiederholt den Namen immer wieder, als würde sie einen neuen Pullover anprobieren und nach einer Weile feststellen, dass er kratzt.
»Die Jungen Witwen aus Paradise Bay«, sagt sie noch einmal und verzieht das Gesicht. »Das würde zu JWPB .« Sie schüttelt den Kopf. »Nein, das geht nicht. Die Buchstaben müssen etwas ergeben, was man sich merken kann. Wie heißt das noch, wenn eine Abkürzung etwas bedeutet, so wie BUND oder DORV -Zentrum?«
»Akronym«, sagt Prissy.
»Richtig, wir brauchen einen griffigen Namen, den man sich gut merken kann und der im Fernsehen gut rüberkommt. Wir kriegen niemals Geld für eine Gruppe, die sich die Jungen Witwen aus Paradise Bay nennt. Erstens ist das viel zu lang, und zweitens darf Paradise Bay im Namen nicht auftauchen. Du musst viel größer denken.«
Ich bin verblüfft, dass sich Lottie mit Strategien auskennt, um an öffentliche Gelder zu kommen. Aber ich stehe dem Antrag grundsätzlich skeptisch gegenüber. Mir erscheint das verfrüht. Wir haben bisher gar nichts erreicht, wir können noch nicht einmal im kleinen Kreis darüber reden, warum wir hier sind. Meiner Meinung nach sollte uns erst einmal ein Durchbruch gelingen, bevor wir losziehen und öffentliche Mittel beantragen. All das will ich gerade äußern, doch da wirft Lottie schon Vorschläge für einen besseren Namen in die Runde.
»Witwen in Nöten, also WIN , könnte gehen, andererseits, ich weiß nicht. Mir gefällt in Nöten nicht, denn dabei denkt man an Hilflosigkeit, was dem Sinn und Zweck einer Selbsthilfegruppe widerspricht. Was meint ihr?«
Ich halte das, offen gestanden, für einen sehr passenden Namen, denn ich bin unentwegt in Nöten, aber mir ist natürlich klar, worauf sie hinauswill. »Wie wäre es mit Witwen-Therapie-Angebot, also WITA ?«, entgegne ich. Daran sollte Lottie nichts auszusetzen haben, doch ich irre mich.
»Dann ginge allenfalls Witwen-Therapie-Zentrum, und das wird zu WITZ «, wendet sie zweifelnd ein, aber wenigstens bringt sie Prissy damit zum Lachen. Ich höre sie zum ersten Mal lachen, und der melodische Klang heitert mich gleich auf. Auch wenn wir nicht über unsere Trauer gesprochen haben, ist es großartig, dass Prissy lacht und grinst.
»Dann wissen zumindest alle, was für ein alberner Haufen wir sind.« Prissy muss so sehr lachen, dass ihr Tränen in die Augen steigen, sie wedelt mit der Hand vor dem Mund herum, um die Fassung wiederzuerlangen. Doch schon steckt ihr Lachen Lottie und mich an.
»Ich hab’s!«, ruft Lottie und schnipst mit den Fingern. Prissy und ich grinsen erwartungsvoll. Was kann denn noch lächerlicher als WITZ sein? »Witwen-Hilfe-Programm, also WIHP ! Was meint ihr?« Prissy und ich nicken zustimmend. Lottie lächelt aufgeregt und klatscht in die Hände. »Wir müssen uns Richtlinien geben und Aufnahmebedingungen für eine Mitgliedschaft erarbeiten. Wenn wir das ernstnehmen, gibt es viel zu bedenken.«
»Das allerdings«, füge ich hinzu. Da wären eine heikle Beziehung zu den Schwiegereltern, die irgendwann vollständig abbricht, die Wut auf den toten Partner, weil er im Sommer den Rasen nicht mehr mähen kann, und die Einsamkeit, die man so lange hinnimmt, bis sie bestimmt, wer man ist. Aber an diese Dinge denkt Lottie nicht.
»Zunächst einmal«, sagt sie, »wie alt ist eine junge Witwe? Vierzig, fünfzig? Wir müssen irgendwo die Grenze ziehen, sonst locken wir am Ende die Pflegefälle mit Magensonde an. Und was ist mit Männern? In der Regel sterben die Männer zuerst, aber manchmal ist es umgekehrt. Wollen wir eine Gruppe für Witwen
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