Die Witwen von Paradise Bay - Roman
Polizei zu belügen, wage ich nicht. Nachdem mein Sohn gerade verhaftet wurde, lande ich womöglich im Gefängnis oder, was wahrscheinlicher ist, stehe zumindest als unfähige Mutter da.
»Nun, nicht wirklich. Wir … wir lassen uns scheiden«, sage ich. »Sein Vater befindet sich momentan in Toronto.«
Der Polizist sieht mich misstrauisch an, und ich fürchte schon, dass er meine Personalien überprüft oder mich festsetzt. »Ich muss den Vater benachrichtigen«, erklärt er, und ich nicke resigniert und kritzle Howies Nummer auf einen Zettel.
Als wir endlich zu Hause sind, lege ich Quentin aufs Sofa, decke ihn zu, mache mir einen Tee und warte darauf, dass Howie anruft und mir Fragen stellt, die ich nicht beantworten kann. Ich bin so wütend auf Quentin, dass ich ihn am liebsten schütteln, ihn fragen würde, was er sich in drei Teufels Namen dabei gedacht habe, so eine Dummheit zu begehen, aber meine Mutter bemüht sich sehr, den Vorfall herunterzuspielen.
»Die Jugend experimentiert nun mal rum«, sagt sie. »Wir haben früher alle Dummheiten angestellt. Selbst du.«
Ich werfe ihr einen ärgerlichen Blick zu. »Verhaftet worden bin ich nie«, frische ich ihre Erinnerung auf.
»Nein, aber geheiratet hast du.«
Ich will sie gerade fragen, wie sie das denn meint, da klingelt mein Handy. »Das ist Howie.«
»Du hast es ihm erzählt?« Mom ist fassungslos.
»Gar nichts hab ich ihm erzählt. Das war die Polizei.«
Meine Mutter schüttelt den Kopf, als hätte ich das Ende der Welt verkündet. Dass Howie von Quentins Verhaftung weiß, verkraftet sie weit schlechter als die eigentlichen Eskapaden.
»Hallo«, sage ich.
»Prissy, was ist passiert?« Howie klingt unerwartet ruhig. Doch er war immer sehr ausgeglichen, und wenn er jetzt nicht losschreit, wird ihn nichts aus der Fassung bringen.
»Quentin hat ein bisschen Ärger am Hals«, antworte ich und frage mich, was bei mir wohl als »viel Ärger« gilt.
»Das habe ich dem Bericht der Polizei entnommen«, entgegnet Howie sarkastisch.
»Jetzt schläft er gerade.« Hat sich nicht mehr auf den Beinen halten können, trifft es besser. »Ich rede morgen früh mit ihm. Vielleicht sollten auch wir so lange warten.« Ich bin erschöpft und erschlagen und nicht in der Stimmung, solch eine Unterhaltung mit Quentins Vater zu führen.
»Prissy?« Howie zögert. »Es wird sowieso bald Zeit.«
»Zeit wofür?«
»Der August geht zu Ende. Der Sommer ist vorbei, Prissy. Quentin muss in wenigen Wochen wieder zur Schule. Er sollte nach Hause kommen.«
Ich erwidere nichts, ich verdaue noch immer, was ich gerade gehört habe. Der Sommer hat doch gerade erst begonnen! Ich bin jetzt nicht bereit, Quentin gehen zu lassen. Ich bin selbst nicht bereit, nach Toronto zurückzukehren und mich all dem zu stellen. Im Moment kann ich mir gar nicht vorstellen, jemals zurückzugehen.
»Ich komme übermorgen und hole ihn«, sagt Howie so autoritär, dass ich mich nicht widersetze. Außerdem hatten wir es im Juni so verabredet.
»Das ist für ihn im Moment das Beste«, fährt Howie fort, als hätte ich ihm widersprochen. »Er sollte in seiner vertrauten Umgebung sein, bei seinen Freunden, in seiner Schule.«
Ich nicke bedächtig und höre Howie vor Erleichterung seufzen, als hätte er meine Reaktion gesehen. Ich schaue zu Quentin. Er liegt fix und fertig auf dem Sofa und schläft. Meine Wut verraucht. Ich küsse ihn auf die Wange und vermisse ihn jetzt schon.
Kapitel 19
Lottie
Im Restaurant sind fast nur Stammgäste. Umso mehr fällt der Fremde auf, der das Lokal betritt und sich hinten in eine ruhige Nische setzt. Irgendwie kommt er mir bekannt vor, aber mir fällt absolut nicht ein, woher. Ich nehme Stift und Notizblock und gehe zu dem neuen Gast, um ihm das Frühstücksangebot aufzusagen, das sich in dem Monat, in dem ich hier nun schon arbeite, noch kein einziges Mal geändert hat.
Kaum zu glauben, dass ich einen ganzen Monat durchgehalten habe! Ich war fest davon überzeugt, ich würde nach einer Woche gefeuert – falls ich nicht selbst gekündigt hätte. Meine Uniform saß zu knapp und beengte mich, aber es war mir zu peinlich, um Ersatz zu bitten. Meine Füße schmerzten nach jeder Schicht, an den Fersen bildeten sich Blasen. Aber mir bereiteten gar nicht so sehr die körperlichen Strapazen Sorgen, sondern meine vielen Fehler. Ich brachte Vollmilch statt fettarmer Milch, normalen Kaffee statt entkoffeiniertem. Ich servierte einem Diabetiker ein Schokoladeneclair und setzte
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