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Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Titel: Die Witwen von Paradise Bay - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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ich.
    »Nichts«, grummelt er und legt den Unterarm schützend über den Umschlag. »Danke«, sagt er herablassend. Ich gehe lieber, bevor er sich über mich beschwert. Als er mit dem Portemonnaie in der Hand zur Kasse kommt, bin ich noch immer ratlos.
    »Bei Ihnen alles in Ordnung?«, frage ich.
    »Alles bestens, danke.«
    »Das macht einen Dollar fünfundzwanzig.«
    Er reicht mir einen druckfrischen Zwanzig-Dollarschein, und da kommt mir eine großartige Idee. »Darf ich Ihren Ausweis sehen?«
    Er schaut mich an, als wäre ich geistig umnachtet. Er hat offensichtlich die Nase gestrichen voll. Die Zeit der Höflichkeit ist vorbei.
    »Ausweis? Wieso?«
    »Hier sind falsche Zwanziger im Umlauf, und wir müssen uns schützen. Wenn ich Falschgeld annehm, wird’s mir vom Lohn abgezogen.« Ich lächle freundlich und lobe mich innerlich für meine Schlagfertigkeit.
    Der Mann sieht mich fassungslos an, seufzt vor Wut, folgt aber meiner Bitte und greift in sein Portemonnaie. Er reicht mir einen Führerschein, ausgestellt in Ontario, auf den Namen Howard John Montgomery. Ich lese den Namen, schaue auf das Foto und runzle verwirrt die Stirn. Ich versuche verzweifelt, mir das zu erklären.
    Ich kämpfe gegen eine Ohnmacht und halte mich an der Theke fest. Die kleine Laminatkarte entgleitet meiner Hand und segelt sanft auf den Tresen. Ich lege eine Hand über den Mund, mustere Howie von Kopf bis Fuß und frage mich, warum ich ihn nicht gleich erkannt habe – abgesehen davon, dass ich natürlich nicht erwartet hatte, bei meiner Frühstücksschicht auf einen Toten zu treffen. Er wirkt älter und grauhaariger, aber ansonsten unverändert.
    »Verzeihung?«, fragt er. »Ist alles in Ordnung? Ich habe bestimmt auch Kleingeld, falls der Schein ein Problem ist.«
    Aus irgendeinem Grund kann ich nur an meinen Makkaroni-Auflauf denken. Jede Zutat war selbstgemacht. Ich habe auf meiner stumpfen Reibe Käse gehobelt, bis mir die Finger bluteten, ich habe am Herd gestanden und die Milch vorsichtig erhitzt, damit sie bloß nicht anbrennt, ich habe die Kruste gleichmäßig gebräunt, die Auflaufform in Folie gepackt und bin damit zu Prissy gegangen, nur um dort von Clara abgewiesen zu werden. Als mir das Ausmaß von Prissys Lügen bewusst wird, brennen mir die Wangen. Sie hat sich nicht nur Howies Tod ausgedacht, sondern auch noch eine Todesanzeige aufgegeben und eine Gedächtnisfeier arrangiert! Kein Wunder, dass sie niemandem in die Augen schauen kann, wenn die Sprache auf Howies Tod kommt.
    Am meisten verstört mich die Tatsache, dass Prissy mich nicht eingeweiht hat. Sie war meine beste Freundin, meine einzige Freundin. Sie hätte mir ihr Geheimnis doch anvertrauen können, aber stattdessen hat sie auch mich getäuscht, und das schmerzt.
    »Du weißt nicht mehr, wer ich bin, oder?«, sage ich leise, obwohl ich mich wirklich sehr verändert habe. Ich bin dicker, runder geworden, und von mir hat eine Müdigkeit Besitz ergriffen, die nahezu jede andere Eigenschaft ausgelöscht hat.
    Der arme Kerl wirkt vollkommen verwirrt. »Nein, es tut mir leid«, sagt er. »Sollte ich?«
    »Ich hab dich auch nicht gleich erkannt. Ich bin Lottie«, sage ich, lächle ihn an und strecke ihm die Hand entgegen. »Lottie Crocker. Ich war eure Trauzeugin.«
    Seine Miene verrät, dass er mich wiedererkennt. »Oh, ja, natürlich«, sagt er augenscheinlich erleichtert. »Wie geht es dir?«, fragt er höflich.
    »Mein Mann hat sich diesen Sommer umgebracht, aber davon abgesehen geht’s mir gut.«
    Howie tritt unbehaglich auf der Stelle, was ich ihm nicht verübeln kann. Der Tod macht grundsätzlich sprachlos, und bei Selbstmord erübrigen sich Phrasen wie »Er ist nun an einem besseren Ort«, »Seine Zeit war eben abgelaufen« oder »Gottes Wege sind unergründlich«. Howie wippt mit verschränkten Armen auf dem Absatz vor und zurück, während ich das Wechselgeld aus der Kasse nehme.
    »Was genau ist zwischen dir und Prissy vorgefallen?«
    »Das hat Prissy dir doch sicher längst erzählt.« Er schiebt die Hände in die Taschen.
    »Prissy hat gesagt, du seist tot.«
    Howie wirkt nicht, als wäre er leicht erregbar, aber wenn die zukünftige Exfrau den Tod ihres Mannes vortäuscht, ist es wohl schwer, ruhig zu bleiben. Seine Augen weiten sich, er zieht die linke Augenbraue hoch. »Verzeihung, wie war das?«
    »Sie hat mir gesagt, du seist tot. Die ganze Stadt hält dich für tot.« Nun kann ich mich nicht mehr bremsen. »Prissy hat sogar eine Todesanzeige in die

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