Die Witwen von Paradise Bay - Roman
mich beschützen?«, frage ich kämpferisch, aber in diesem Moment erscheint ein ausgesprochen zorniger Howie.
»Prissy!«, brüllt er. »Mach auf und lass mich rein!« Er hämmert blindlings gegen die Tür. »Mach auf, Prissy, verdammt noch mal!« Außer sich vor Wut schlägt er gegen die Glasscheibe. Wenn ich ihm nicht auf der Stelle öffne, wird er womöglich die Tür eintreten.
»Spar dir die Worte, du oller Prahlhans«, ruft Mom. »Is’ eh nicht abgeschlossen.« Howie tritt schäumend vor Wut in die Küche. Er war doch ganz gelassen, als er von Quentins Verhaftung erfahren hatte, darum verstehe ich nicht, weshalb er jetzt so aufgebracht ist.
Offensichtlich weiß er nicht, wohin mit seiner Wut. Howie hat noch nie die Beherrschung verloren, nicht einmal, als ich vergessen hatte, dass er den Seniorpartner der Firma zum Essen mitbringen wollte und ich ihn an der Tür in Jogginghose und mit einer angenagten Pizza in der Hand empfangen habe. Er hechelt regelrecht, an den Schläfen rinnen Schweißbahnen hinunter. Selbst seine Haltung wirkt kampfbereit, die Füße stehen weit auseinander, die Hände sind zu Fäusten geballt. Er scheint große Mühe zu haben, seine rasenden Gefühle zu kontrollieren, und das kann ich ihm gut nachfühlen.
Quentin schluckt heftig, ich habe plötzlich Angst um ihn. Howie glaubt im Gegensatz zu mir an die strenge Liebe, aber im Moment spüre ich bei ihm keine Liebe, nicht einmal Strenge. Er wirkt geradezu gewaltbereit, und ich frage mich, ob ich ihm Quentin in diesem Zustand überlassen soll.
»Was ist denn los, Prissy? Hast du ein Gespenst gesehen?« Er lächelt mich an, kalt.
»Was meinst du damit?« Unglücklicherweise weiß ich genau, was er meint, und mir dämmert, dass ich der Grund für seinen Zorn bin. Ich kann Howie nicht anschauen und konzentriere mich auf den Boden – vielleicht tut er sich ja auf und verschluckt mich. Mein Herz schlägt so laut, dass es bis in meinen Kopf dröhnt.
»Hast du es genossen, allen zu erzählen, ich sei tot?« Howies Stimme klingt gefährlich ruhig.
»Das ist doch bloß ein Missverständnis«, flüstere ich.
»Wohl eher Wunschdenken«, wirft meine Mutter ein, aber Howie bringt sie mit einer Geste zum Schweigen. Dass meine Mutter gehorcht, erstaunt mich. Die einzige Person, die meiner Mutter den Mund verbieten konnte, war mein Vater, und auch das nur selten.
»Wenn’s dir nichts ausmacht, Clara, möchte ich lieber mit der trauernden Witwe sprechen«, sagt Howie.
»Mom, Quentin, würdet ihr uns kurz entschuldigen?« Ich ziehe Howie zur Hintertür hinaus. Ein Windstoß wirbelt mir das Haar ins Gesicht, ich zittere, aber nicht vor Kälte. Wir stehen uns gegenüber, doch niemand spricht. Howie ringt um Beherrschung, ich schaue auf meine Füße.
»Es tut mir leid«, flüstere ich. »Es war nicht meine Idee, das schwöre ich.«
»Komm mir nicht mit dieser Scheiße, Prissy, ich bin’s nämlich leid!«, brüllt er und hält mir drohend einen Finger vors Gesicht. »Du kannst nicht mit meinem Sohn an den Arsch der Welt ziehen und so tun, als wär ich tot!«
Auf seinem Gesicht zeichnet sich eine plötzliche Erkenntnis ab, gefolgt von neuer Wut. »Als ich damals hier war – da lief meine sogenannte Gedenkfeier.« Er fährt sich mit den Fingern durchs Haar und lacht mich grausam an. »Habt ihr euch hinterher schön über mich amüsiert? Ein paar Bier gekippt und gemeinsam darüber gelacht, was für ein Arschloch ich bin?«
»So war es nicht, Howie. Es war schön, geschmackvoll. Alle haben Gutes über dich gesagt. William Harnum hat mir sogar ausdrücklich erzählt, dass du ihm einmal geholfen hast, Feuerholz in seinen Laster zu laden. Er hat gesagt, du seist sehr … nett, für jemanden vom Festland.« Howies ungläubiger Gesichtsausdruck verrät mir, dass ich mich nicht so ausgedrückt habe, wie ich wollte. In seinen Ohren klinge ich bestimmt komplett wahnsinnig.
»Weiß Quentin das?«
Mein Schweigen ist Antwort genug, aber er will es unbedingt aus meinem Mund hören.
»Ich habe dich etwas gefragt. Weiß Quentin das?«
Ich verlagere nervös mein Gewicht aufs andere Bein. »Ja.«
Howie ballt die Fäuste und schüttelt fassungslos den Kopf. »Du machst mich echt fertig, Prissy, und als Mutter hast du vollkommen versagt.«
Er hat ja recht. Ich habe die ganze Stadt über das Schicksal von Quentins Vater belogen. Seit Quentin in meiner Obhut ist, hört er auf den Namen kleiner Scheißer, ist er weggelaufen und verhaftet worden. Das
Weitere Kostenlose Bücher