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Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Titel: Die Witwen von Paradise Bay - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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Kapitel 22
    Prissy
    »Howie hatte eine Affäre?« Lottie ändert ihre Betonung nur so leicht, dass aus der Feststellung eine Frage wird. Ich nicke bestätigend. Ich hatte nicht mit Lotties Besuch gerechnet, nicht nach unserem hitzigen Wortgefecht, und doch sitzen wir nun in der Küche meiner Mutter bei Tee und Marmeladenkeksen zusammen, wie so unzählige Male zuvor. Als sie mit einem Fertiggericht als Friedensangebot vor der Tür stand, musste ich lachen. Ich hatte befürchtet, sie würde nie wieder mit mir sprechen, nachdem ich sie wegen Howie belogen und ihr auch noch die Schuld an Ches’ Selbstmord gegeben hatte. Vor lauter Erleichterung nehme ich sogar in Kauf, dass sie mich über meine Ehe aushorcht.
    Als sie »Mit wem hat er denn geschlafen?« fragt, muss ich passen. Ich habe eine vage Vorstellung, wie sie aussehen könnte, aber im Grunde weiß ich nichts. Sie könnte jung oder alt sein, mit langem oder kurzem Haar. Dick oder dünn, groß oder klein, europäischer Abstammung oder sonst was. Ich zucke mit den Schultern.
    »Du hast keine Ahnung?« Lottie ist fassungslos. »Hast du ihn denn nicht gefragt?«
    »Natürlich habe ich ihn gefragt«, antworte ich patzig. »Er ist mir ausgewichen. Ich weiß nur, dass er sie bei der Arbeit kennengelernt hat.« Damit kommt jede Frau in Frage. Howie vermietet Räumlichkeiten an alle möglichen Firmen, an Architekten, Anwälte, Hypothekenbanken, Buchhalter. Es könnte eine der vielen Frauen sein, die bei einer der Firmen angestellt sind, oder die Sekretärin, die ihm jeden Morgen Kaffee macht.
    »Zum Beispiel die Sekretärin?«, fragt Lottie, als könnte sie meine Gedanken lesen. Es klingt furchtbar klischeehaft, und ich wollte nie, dass meine Ehe klischeehaft wird. Sie sollte märchenhaft sein. Beklommen stelle ich fest, dass sie zu einem abgedroschenen Stereotyp geworden ist.
    »Also, wie geht’s weiter?«, fragt Lottie. »Du bleibst ’ne Weile hier, lässt ihn zur Strafe ein wenig schmoren und wartest darauf, dass er zu dir zurückkommt?«
    »Er kommt nicht zu mir zurück«, murmele ich. Lottie hört vor lauter Verblüffung auf zu kauen und tut so, als würde sie interessiert den Aufdruck auf der Kekspackung lesen.
    »Dann ist er ein Idiot, und du bist ohne ihn besser dran«, sagt sie. Ihre Meinung rührt mich, auch wenn ich sie nicht teile. »Ich muss arbeiten. Ich hab heut die Abendschicht.« Lottie steht auf und stellt ihre leere Tasse in die Spüle. »Du kriegst das schon hin, Priss. So wie immer«, sagt Lottie, und ich ringe mir ein halbes Lächeln ab.
    Lottie ist gerade fünf Minuten fort, da klopft es an der Tür. Bestimmt hat Lottie etwas vergessen. Ich öffne die Hintertür, aber dort steht ein junger Mann, in Anzug und Krawatte. Meine Mutter ruft genervt vom Wohnzimmer herüber, das sei sicher einer von den Zeugen Jehovas, und ich solle ihm die Tür vor der Nase zuknallen. Doch der Mann hält keine Bibel in der Hand, sondern einen großen braunen Umschlag.
    »Priscilla Montgomery?«, fragt er. Mein Herz klopft nervös, als ich meinen vollen Namen aus dem Mund eines Fremden höre. Mein Mund ist trocken, ich kann nicht sprechen, also nicke ich. Er reicht mir den Umschlag, sagt, dass ich hiermit die Klage erhalten hätte, und wendet sich zum Gehen.
    Ich spüre regelrecht den fragenden Blick meiner Mutter. »Das ist von Howie«, sage ich und schließe die Tür. »Genauer gesagt, von seinem Anwalt. Das sind die Scheidungspapiere, Mom«, erkläre ich angesichts ihrer verwirrten Miene. Am liebsten würde ich den Umschlag samt Inhalt ungelesen zerfetzen und in den Mülleimer stopfen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Doch ich werfe den Umschlag auf den Küchentisch, setze mich betrübt hin und blicke ihn an.
    »Willst du nicht reinschauen?«, fragt Mom, und ich zucke unsicher die Achseln.
    »Ich hab Angst«, gebe ich zu. »Was, wenn er das alleinige Sorgerecht will? Ich würde es nicht ertragen, Quentin zu verlieren«, sage ich mit zitternder Stimme.
    Ich hole vorsichtig die Papiere aus dem Umschlag und lege sie vor mir auf den Tisch. In den ersten beiden Zeilen werde ich als die Beklagte bezeichnet, was mir unter den gegebenen Umständen sehr passend erscheint.
    »Ich kann das nicht lesen«, sage ich und schiebe die Papiere weg. Ich stecke mir eine Zigarette zwischen die Lippen und kämpfe mit dem Feuerzeug, bis mir meine Mutter die Zigarette aus dem Mund schlägt.
    »Was machst du da, verdammt? Ich hab nur noch drei Kippen übrig, und die verschwende ich nicht

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