Die Wölfe vom Rock Creek - Alaska Wilderness ; 2
sich ewig bindet. Oder nur für eine Weile. Außerdem finde ich, dass man sich von seinem Gefühl und nicht von irgendwelchen Äußerlichkeiten leiten lassen soll. ›Folge deinem Herzen‹, sagt meine Mutter, ›dann brauchst du dir später keine Vorwürfe zu machen, auch wenn es schiefgeht‹.«
Im Bett dachte Julie noch eine Weile über Carols Worte nach. Sie hatte recht, am besten war es, sich von seinem Herzen leiten zu lassen und sich nicht wie diese Tussis in den Dokusoaps zu benehmen. Sie hatte Zeit und niemand zwang sie, noch im Winter eine feste Beziehung einzugehen. Jetzt ging es erst einmal darum, die berufliche Zukunft zu sichern. Alles kam darauf an, welche Beurteilung sie nach ihrem Praktikum erhalten würde. Erst dann wurde entschieden, ob sie als Rangerin im Denali National Park anfangen durfte oder zum Dienst in die »Lower 48 « abkommandiert wurde, wie man in Alaska die restlichen USA nannte. Im schlimmsten Fall würde man sie auf eine Warteliste setzen oder gleich nach Hause schicken. Nicht auszudenken, was passieren konnte, wenn sie ihre gute Beurteilung wegen einer Beziehungskiste aufs Spiel setzte. Nicht mal der sprichwörtliche Prinz war dieses Risiko wert.
Über diesen Gedanken schlief Julie ein. Am nächsten Tag, einem Samstag, hatte sie frei und beschloss, nach Fairbanks zu fahren, schon allein, um den Kopf wieder freizubekommen. Beim Frühstück reichte ihr Carol eine Liste mit Lebensmitteln, die sie aus dem Supermarkt mitbringen sollte, und bat sie außerdem, den neuen Roman von Debbie Macomber mitzubringen. Der dritte Band einer kitschigen Serie über die Bewohner einer kleinen Stadt in Texas. Carol stand auf solche Schnulzen, obwohl Julie beim heiligen Manitu der Indianer schwören musste, den anderen Rangern nichts zu verraten, denn die kannten Carol vor allem als selbstbewusste und starke Frau.
»Großes Indianer-Ehrenwort«, schwor Julie und stieg in ihren Pick-up. Sie trug Alltagskleidung: ihre etwas verwaschenen Jeans, den gemusterten Pullover und darüber ihren dunkelblauen Anorak. Ihre honigblonden Haare, die sie noch vor dem Frühstück gewaschen hatte, hingen bis auf ihre pelzbesetzte Kapuze herab. Für alle Fälle, wie sie sich sagte, und wusste selbst nicht, wen sie dabei im Kopf hatte: John oder Josh. Weder der eine noch der andere hatte sie angerufen, obwohl Josh ihre private Handynummer hatte und sonst jeden zweiten Abend anrief. Eigentlich wusste er auch, dass am Samstag ihr freier Tag war.
Aber sie konnte ihm sein Schweigen nicht wirklich übelnehmen. Wahrscheinlich war er immer noch beleidigt, weil sie ihn festgehalten und ihm seinen Revolver abgenommen hatte. Josh ließ sich nur ungern etwas sagen, schon gar nicht von einer jungen Frau. Wahrscheinlich glaubte er, dass sie ihn nicht mehr mochte, weil sie so bestimmt und unnachgiebig gewesen war. Daran änderte auch ihre Entschuldigung nichts. Oder ihm ging es wie ihr und er hatte einfach Angst, sie anzurufen.
Sie wartete, bis kein Gegenverkehr kam, und griff nach dem Handy, das neben ihr auf dem Beifahrersitz lag. Nachdem sie seine gespeicherte Nummer gedrückt hatte, ließ sie es einmal klingeln und legte das Handy gleich darauf wieder weg. Es war noch zu früh. Vielleicht war es besser, ein paar Tage verstreichen zu lassen, bis sie sich wieder bei ihm meldete. Wenn sie ihn jetzt an den Hörer bekam, redete sie doch sowieso nur Blödsinn. Sie würde sich tausend Mal entschuldigen und noch einmal erklären, dass ihr nichts anderes übrig geblieben war, als so zu handeln. Wahrscheinlich würde er dann immer noch den Beleidigten spielen, und am Schluss würden sie sich wieder anfauchen und auflegen.
Sie hatte heute sowieso wenig Zeit, wollte bei ihrem Vater im Krankenhaus vorbeisehen, dem Chefarzt der Klinik, mit ihrer Freundin Brandy zu Starbucks gehen und einen Caffè Latte trinken, im Supermarkt einkaufen und in der Buchhandlung stöbern, um das Buch für Carol und einen neuen Thriller von Karen Slaughter für sich zu kaufen. Ein volles Programm, wenn man bedachte, dass allein die Hinfahrt zwei Stunden dauerte.
Ihr Vater war wieder mal im Stress, als sie im Krankenhaus nach ihm fragte, eine Bypass-Operation, die noch eine Stunde dauerte, bis er sich endlich freimachen konnte und sie in seinem Büro empfing. Auch dort blickte er ständig auf die Uhr. »Ich hab leider nur wenig Zeit, Julie. Ein wichtiger Patient, ein Börsenmakler aus New York.« Was bedeutete, dass er genug Geld besaß. »Geht es dir gut? Läuft
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