Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)
schließlich, am Morgen des 31. März, verließen fünf der sechs Crystal-Creek-Wölfe endgültig ihr Gefängnis. Der letzte Jährling, Nummer Zwei, folgte am nächsten Tag seinen Gefährten.
Insgesamt dauerte es zehn Tage, bis alle Wölfe ihre Gehege verließen. Sie waren nicht sofort heraus geprescht, sondern sie hatten geduldig gewartet, bis sie es an der Zeit und für sicher genug hielten, sich auf den Weg zu machen.
Auch das Soda-Butte-Rudel verhielt sich ähnlich. Hier schnitten die Männer gleich ein großes Loch in den Zaun, statt die Tür zu öffnen. Und auch hier trauten sich die Tiere zunächst nicht aus dem »sicheren Revier«. Aber schon am nächsten Tag fraßen sie von dem außerhalb deponierten Kadaver. Und nur zwei Tage nach der Öffnung verließen die Soda-Butte-Wölfe ihr Gehege für immer.
Die Wölfe waren nach Yellowstone zurückgekehrt.
Mich fröstelt. Es ist kalt und spät geworden. Ich mache mich wieder auf den Heimweg. Es fängt an zu schneien. Nur noch schemenhaft nehme ich die Umrisse der Buffalo Ranch war. Gerade noch rechtzeitig bin ich vom Berg heruntergekommen. Wölfe lieben Schnee. Selbst bei minus 30° Celsius lassen sie sich unberührt einschneien. Ihr dickes Fell schützt sie vor Kälte. Sie sind perfekt für dieses Leben ausgestattet. Ich dagegen bin froh, dass ich wieder ins warme Auto steigen kann. Langsam mache ich mich auf den Heimweg nach Cooke City. Am Pebble-Creek-Campingplatz, der jetzt im Winter geschlossen ist, steht ein Elch im tiefen Schnee und zupft sich die zarten Nadeln von den Bäumen.
Das Gebiet zwischen Pebble Creek und Cooke City ist Elchrevier. Im Gegensatz zu den Hirschen, die im Winter in die Täler wandern, ziehen sich die Elche in die höher gelegenen Gebiete zurück. Dort im Schutz der Nadelwälder gibt es weniger Schnee und noch ausreichend Nahrung. Besonders im Dunkeln heißt es hier aufmerksam sein, denn wer möchte schon mit einem tonnenschweren Elch zusammenstoßen?
In Silver Gate brennt nur vereinzelt ein Licht in den kleinen Blockhütten. Eigentlich ist dies gar kein richtiger Ort, sondern vielmehr eine Ansammlung von Cabins und einem heruntergekommenen Motel, das nur von Juni bis September geöffnet hat. Dagegen ist Cooke City schon fast eine »Großstadt«. Hier gibt es eine Hauptstraße, zwei Tankstellen (eine davon mit öffentlichem Internetanschluss), vier Motels und einen Tante-Emma-Laden, wo sich gelegentlich die Hüttenbesitzer, die ohne Fernsehen auskommen müssen, versammeln und gemeinsam ein Football-Spiel anschauen. Eine kleine Blockhauskirche liegt auf halber Strecke zwischen Silver Gate und Cooke City und wird von den Einwohnern beider Orte besucht.
Man sollte meinen, dass es in einem Ort, der als einer der isoliertesten und einsamsten Städte Amerikas (außerhalb von Alaska) gilt und der ganzjährig eine Einwohnerzahl von 90 mehr oder weniger wild aussehenden Gestalten hat, relativ ruhig zugeht. Aber weit gefehlt.
Als ich an diesem Abend in die Stadt komme, ist immer noch das Dröhnen der Schneemobile zu hören, die hier jeden Winter einfallen. Dann liegt der Ort mit der gesunden Bergluft unter einer dicken blauen Dunstglocke, die von den ständig laufenden Motoren dieser modernen Männerspielzeuge herrührt.
Ich stelle mein Auto bei der Elkhorn Lodge ab, wo ich eine Cabin mit Küche und Bad gemietet habe und laufe zu Fuß die wenigen Meter zur Soda Butte Lodge. Dies ist das älteste Hotel im Ort und sehr beliebt bei Schneemobilfahrern. Mindestens 30 chromblitzende Maschinen stehen säuberlich aufgereiht vor dem Eingang des aus Holzbrettern gebauten Gebäudes – einige noch mit laufenden Motoren, während sich die Fahrer am mächtigen Steinkamin in der Lobby aufwärmen. Ich bekomme einen Tisch in der Nichtraucherecke des Restaurants und bestelle mir bei Michael, dem stets gut aufgelegten und freundlichen Studenten, der auch bei stärksten Minustemperaturen mit kurzer Hose bedient, einen Hamburger. Größere kulinarische Ergüsse kann man im Wilden Westen nicht erwarten. Dafür ist mein Fleischklops riesengroß und kämpft mit einer gigantischen Portion fettiger Pommes frites um einen Platz auf meinem Teller.
Am Nebentisch wird es laut. Eine Gruppe Jäger diskutiert über die Wölfe. Die meisten sind dafür, sie abzuknallen: »Die fressen alle unsere Hirsche und Elche! Bald gibt es nichts mehr!« Ein anderer erzählt in Bierstimmung, wie er einen Kojoten mit dem Schneemobil gejagt und mehrmals überfahren hat. Das Töten
Weitere Kostenlose Bücher