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Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)

Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)

Titel: Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elli H. Radinger
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über den Zaun (Füchse können fast wie Katzen klettern). Von ihm blieben nur ein paar Fellreste übrig. Bald würden Beutegreifer und Beute vereint und damit der Sinn und Zweck des Projektes erfüllt sein.
     
    Während ich mit dem Rücken am Baum sitze und die Erde unter mir fühle, beneide ich ein wenig die Bäume, die miterleben durften, wie Nummer Neun und Nummer Zehn hier ihre Romanze begannen, eine Affaire, der der Hauch einer Tragödie von Shakespeare innewohnt.
    Große Namen wie bei Shakespeare haben die Yellowstone-Wölfe nicht. Stattdessen haben sie von den Wissenschaftlern Nummern erhalten. In Kanada geben die Wolfsforscher ihren Wölfen Namen, in Amerika dagegen Nummern (wenngleich viele der Biologen immer häufiger inoffizielle Namen wie zum Beispiel »Mom« für ihre Lieblinge erfinden), und die Rudel tragen ihren Namen nach den Gebieten, in denen sie freigelassen wurden. Ausnahmen hiervon sind das Leopold-Rudel, das nach dem Naturschützer Aldo Leopold benannt wurde, und das »Mollies Rudel«. Zur Erinnerung an Mollie Beattie, die kurze Zeit nach der Rückkehr der Wölfe an Krebs verstarb, wurde das Crystal-Creek-Rudel nach ihr umbenannt.
    Die Idee, den einzelnen Wölfen Nummern zu geben, stammt hauptsächlich von Dave L. Mech, dem bekanntesten Wolfsbiologen Amerikas und wissenschaftlichen Berater des Yellowstone-Wolfsprojektes. Nach seiner Auffassung ist es ein Zeichen von Respekt vor den Tieren, ihnen keine menschlichen Namen zu verpassen. Das Geheimnis ihrer Namen soll ganz allein bei den Wölfen bleiben.
    Inzwischen hat sich diese Praxis als sehr nützlich erwiesen. Es ist technisch einfach nicht möglich, mehreren Hundert Wölfen einen Namen zu geben und auch noch den Überblick zu behalten. Eine Nummerierung mit dem Zusatz »M« für männlich und »F« für weiblich vereinfacht die Identifizierung.
    Während ich früher diese Art der Kennzeichnung lieblos fand, kann ich es heute verstehen und sogar nachempfinden. Das Tier in seiner komplexen Gesamtheit zu achten, dazu gehört auch, ihm seine Würde zu lassen – und zwar auch dadurch, dass man ihm keinen menschlichen Namen auferlegt.
    Während ich vor mich hinträume, spüre ich eine Bewegung neben mir. Ein großer Rabe sitzt auf dem Zaun. Er reckt seinen Kopf zur Seite und seine schwarzen Augen mustern mich neugierig. Die Raben von Yellowstone sind für ihre Klugheit bekannt und dafür berüchtigt, dass sie gelernt haben, Klettverschlüsse an Rucksäcken zu öffnen, um an Futter zu kommen. Bei mir hat er keine Chance, denn ich habe mein Picknick schon verzehrt. Außerdem füttere ich prinzipiell keine Wildtiere. Der Rabe sitzt genau dort, wo der Maschendraht geflickt ist. An dieser Stelle hatte man im März 1995 ein Loch in den Zaun geschnitten, um die Wölfe freizulassen.
    Wie mag es wohl gewesen sein, als die streng riechenden Zweibeiner kamen und das Tor zur Freiheit öffneten?
     
    Endlich frei
    Nach zwei Monaten Gefangenschaft hatten sich die Wölfe so weit akklimatisiert, dass die Forscher sie freilassen konnten. Am Nachmittag des 22. März 1995 wurden die Türen zum Rose-Creek- und zum Crystal-Creek-Gehege geöffnet. Wie immer, wenn Menschen in der Nähe waren, zogen sich die Wölfe sofort in die hinterste Ecke des Geheges zurück. Obwohl sie zweimal wöchentlich mit Nahrung versorgt wurden, hatten sich die Tiere zum Glück nicht an Menschen gewöhnt. Vier Tage vor ihrer Freilassung war ihnen zum letzten Mal etwas zu fressen gegeben worden. Ihre Mägen waren jetzt leer. Ein Stück außerhalb des Zauns hatte man einen toten Hirsch deponiert. Draußen wartete das Schlaraffenland auf sie. 20.000 Hirsche überwintern im Lamar Valley. Im Sommer sind es noch einmal fast doppelt so viel. 20.000 Hirsche, die keine größeren Kaniden als Kojoten kannten, viele von ihnen krank oder schwach vom langen, kalten Winter. Alles, was die Wölfe tun mussten, war durch die weit offene Tür gehen und sich ihr Futter holen.
    Aber um Mitternacht hatte noch kein Wolf sein Gehege verlassen. Für die Biologen gab es nur zwei mögliche Erklärungen: Eine davon war die Angst vor dem menschlichen Geruch. In ihrer Heimat Alberta wurden die Wölfe stark bejagt. Um seine Jagdlizenz zu halten, muss ein Trapper eine Minimumquote an Wolfsfellen nachweisen. Die Fangerlaubnis ist nach oben offen. Die Tiere werden das ganze Jahr über bejagt. Für sie bedeutete alles, was nach Menschen riecht, Tod. Und nun sollten sie genau durch dieses Tor laufen, durch das immer wieder

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