Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)
Eiskristallen.
Aber es gibt auch die Macht und den Zorn der gewaltigen Blizzards. Millionen von Schneekristallen werden mit kräftigen Winden über verschwommene Formen gewirbelt. Die Temperaturen fallen in kürzester Zeit um 20 Grad auf eiskalte minus 40 Grad Celsius. Dann kommt der Morgen mit einer Decke frisch gefallenen Schnees, jungfräulich, ohne Spuren von Mensch und Tier ... bis einer der weißen Schneehügel sich bewegt und ein Wolf aufsteht und sich die glitzernde Pracht aus dem Fell schüttelt.
Der Winter ist eine gute Jahreszeit für die Wölfe. Die großen Wapiti-Hirsche sind geschwächt durch die anstrengende Brunftzeit im Herbst und den vielen Schnee. Sie bieten reichlich Nahrung für die Beutegreifer.
Touristen gibt es jetzt kaum. Nur wenige abgehärtete Gestalten stehen dick vermummt in geräumten Parkbuchten entlang der einzigen geöffneten Straße und beobachten das Tiertreiben. Andere ziehen auf Langlaufski oder Schneeschuhen ihre Bahn. In dieser Jahreszeit gehört Yellowstone fast ausschließlich den Tieren.
Im Februar, wenn die Sonne länger und wärmer scheint, erwacht der Park aus seiner Winterstarre. Ein Hauch von Anspannung und Aufregung liegt in der Luft. Die Paarungszeit beginnt. Die Kojoten sind die Ersten, die man an jeder Ecke beim Liebesspiel überraschen kann. Dann wechselt Amor zu den größeren Kaniden. Der Leitwolf verbringt jetzt mehr Zeit mit seinem Weibchen, das für seine Annäherungen empfänglich wird. Das Leitpaar verstärkt seine territorialen Aktivitäten und verdoppelt seine Urin- und Geruchsmarkierungen. Zum Markieren hebt ein Leitwolf ein Hinterbein und uriniert auf möglichst hohe und bedeutende Objekte. Beide, Rüde und Weibchen, urinieren mit erhobenem Bein. Durch den hoch angesetzten Urin kann der Geruch über größere Entfernungen zirkulieren und den Status des Paares bekannt geben. Im Allgemeinen kauern sich die niederrangigen Wölfe zum Urinieren hin; sie heben kein Bein.
Ungefähr Mitte Februar ist es soweit: Die Fähe wird heiß. Etwa zehn Tage lang zeigen die Urinmarkierungen der Wölfin Zeichen von Blut und riechen nach Pheromonen. Gegen Ende des zehnten Tages der Läufigkeit ist der Eisprung und sie verpaart sich mit ihrem Gefährten. Ein typischer Kanidenknoten dauert etwa 15 Minuten.
In Yellowstone konnte in den letzten Jahren beobachtet werden, dass sich in einer Wolfsfamilie nicht nur die Leitwölfe paarten, sondern dass sehr häufig auch noch ein oder zwei andere Weibchen trächtig wurden – und das nicht nur vom Leitwolf. So hatte zum Beispiel das berühmte Druid-Peak-Rudel mehrere Jahre hintereinander mindestens zwei oder drei Würfe. Dies führte im Jahr 2000 dazu, dass auf einen Schlag 20 neue Welpen zu versorgen waren, die das Rudel auf 27 Wölfe vergrößerten; zwei Jahre später war es mit 37 Wölfen eines der größten Wolfsrudel Nordamerikas. Im Winter 2003 wurde eine Tochter der Leitwölfin an einem Tag gleich von drei Rüden gedeckt: von zwei ihrer Rudelgefährten und von einem zufällig daher kommenden stattlichen schwarzen Rüden. Diese Beobachtungen werfen sämtliche bisherigen Theorien über das Paarungsverhalten von Wölfen über Bord und verblüffen die Biologen immer wieder.
Die Trächtigkeit bei Wölfinnen dauert etwa sechzig Tage. Von Mitte bis Ende April beginnt das Weibchen, einen geeigneten Ort für eine Geburtshöhle zu suchen. Eine passende Höhle muss ungestört sein, einen guten Überblick über das Gebiet haben und in der Nähe von Wasser gelegen sein. Hat die Fähe einen solchen Ort gefunden, gräbt sie eine Höhle. In Yellowstone verwenden viele Wölfinnen immer wieder dieselben, traditionellen Höhlen. Manchmal aber gräbt eine Wölfin auch mehrere Höhlen. 1995 grub Nummer Fünf fünf Höhlen, brachte aber keine Jungen zur Welt. Solche Höhlen haben drei Gründe: 1) Sie sind Quartiere für einen Notfall, 2) die Wölfin hat nach der Geburt saubere Ersatzhöhlen und kann 3) die Welpen mit mehr als ihrer Heimathöhle vertraut machen.
Während die angehende Mutter ihr Heim einrichtet, wird das Revier insbesondere um den Höhlenkomplex herum von den restlichen Rudelmitgliedern verschärft kontrolliert. Die Wölfe schnuppern viel, frischen ihre eigenen Markierungen immer wieder auf und überprüfen die von anderen, besonders die von anderen Kaniden. Wenn sie auf einen gelben Punkt im Schnee treffen, der ihnen sagt, dass ein Kojote, ein Fuchs oder ein anderer Wolf hier war, dann urinieren sie intensiv darüber, um die
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