Die Woelfin
letzten Gruß gesandt hatte .
*
Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis sich den Geräuschen der Nacht ein weiteres hinzufügte.
Schritte.
Das hybride Wesen im Baum - halb Wolf, halb Frau - spitzte die Ohren. Es war in perfekter Mimikry mit dem Braun der Rinde verschmolzen, selbst für Augen, die im Dunkel sehend waren.
Nona atmete flach, aber hinter ihrer Kehle staute sich die Anspannung, die zu unterdrücken ihr von Sekunde zu Sekunde schwerer fiel.
Die Schritte wurden lauter. Kein Zweifel, jemand kam.
Er?
Wie lange sie diesen Moment herbeigesehnt hatte . Aber nun, da er unmittelbar bevorstand, begann sie das Wagnis, das sie einging, plötzlich in Frage zu stellen.
Was, wenn ihr weiser Mentor Recht behielt? Was, wenn Landru doch nicht allein kam, sondern in Begleitung . des Todes?
Sie entsann sich einer Meditationsübung, die Chiyoda sie gelehrt hatte - der alte chinesische Werwolf, der seinen Anhängern predigte, dem verderblichen Einfluß des Mondes zu widerstehen, ihm Widerstand zu leisten und sowohl dem Morden als auch dem Kannibalismus zu entsagen .
Nach einer Weile gewann sie etwas von ihrer Beherrschung zurück.
Die Schritte waren jetzt ganz nah.
Nona spähte durch die letzten Blätter des Baumes zum Boden hinab. Von ihrem Versteck aus konnte sie den Pfad überblicken, den auch der Untote gekommen war und wo ihn die Witterung des ausgelegten Köders erreicht hatte.
Der Anblick der jetzt dort auftauchenden Gestalt ließ Nona die be-haarten Hände fester um die armdicken Äste schließen, an denen sie sich festhielt. Ihr Atem paßte sich dem rasenden Flug ihres Pulses an.
Vorbei war es mit ihrer Selbstkontrolle.
Er war es!
Landru hatte den Todesimpuls seines Dieners empfangen und eilte nun zum Schauplatz der Tat.
Obwohl es keinen Zweifel an der Identität des Ankömmlings gab, war Nona doch von dessen Auftritt irritiert.
Etwas an ihm war ganz anders als erwartet. An seiner modischen Kleidung lag es nicht.
Nein, es war die Art und Weise, wie er sich bewegte. Wie er entlang des trüb erhellten Weges kam und in das Gebüsch eindrang, das schon sein Diener durchbrochen hatte.
Die Sprache seines Körpers war irgendwie ... falsch.
Die Wolfsfrau kniff die Lippen zusammen, hinter denen das mörderische Gebiß lauerte, an dem noch das geronnene Blut des Köders klebte, von dem sie flüchtig gekostet hatte.
Noch ehe sie den entscheidenden Schritt tat und sich Landru zu erkennen gab, rekapitulierte sie noch einmal in Gedanken, wie sie hierher gelangt war.
Warum sie sich dem Todbringer, vor dem Chiyoda sie vor Jahresfrist noch so eindringlich gewarnt hatte, nun doch stellte.
Ihr fröstelte.
Chiyoda, dachte sie, ohne dich wäre ich heute nicht hier. Und ich wäre auch nicht dorthin gegangen, wo ich zwar nicht mein Leben, wohl aber meine Zukunft verlor...
*
Nonas Erinnerung Ostanatolien, ein halbes Jahr zuvor
Haar fiel nieder und verbrannte mit dem ihm eigenen strengen Geruch.
Es kam mir selbst vor wie der Versuch einer rituellen Reinigung. Den Blick auf mein Abbild im Spiegel gerichtet, dachte ich gleichzeitig: Verdammtes Lügengebilde!
Denn sah mein von der bleibedampften Fläche reflektiertes Gesicht nicht aus, als gehörte es einer noch jungen, schönen Frau, der noch nichts widerfahren war, was Fältchen in die glatte Haut gegraben hätte? Und waren nicht die Augen, wenn überhaupt, das einzige, was diese Lüge entlarvte?
Augen, die auch 500 Jahre nach ihrem ersten Lidschlag noch nicht dauerhaft geschlossen bleiben wollten.
Am 1. Februar 1511 war ich in Perpignan, Frankreich, zur Welt gekommen, als Kind eines geistesschwachen Habenichts und einer reichen Krämerstochter. In einer Vollmondnacht war meine hochschwangere Mutter von Pierre, dem Idioten, umgebracht und bestialisch verstümmelt worden, weil sie sich nicht hatte zu ihm bekennen wollen.
Und weil hinter Pierres menschlicher Maske die Fratze eines Wer-wolfs gelauert hatte!
Im Alter von fünfzehn Jahren hatte ich begreifen müssen, daß auch ich den mitleidlosen Fluch des Mondes in mir trug; damals war zum ersten Mal das kannibalische Verlangen über mich gekommen - und die Lust am Töten. Ein Jahr später schon, in Rom, war ich dann einem Monster anderer Natur begegnet: einem Wesen, das wie ein Mensch aussah, aber kein solcher war. Seit vielen Jahrhunderten schon zog er mit einem magischen Gefäß um die Welt, um aus Menschenkindern Vampire zu schaffen, ganze Sippen von Blutsaugern zu begründen oder bereits bestehende zu
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