Die Wohlgesinnten
nachdem sie der eleganten Fassade aus dem 19. Jahrhundert mit den von Granatsplittern durchlöcherten Zierfriesen einen Anstrich in Ockergelb und Burgunderrot verpasst hatte; es war zu einem Kabarett umgewandelt, die Panzersprenggranate , wie ein schrilles Schild über den verzierten Eingangstüren verkündete. Eines Abends nahm ich Hanika dorthin mit, es wurde eine satirische Revue gegeben. Sie war eher mäßig, aber die Männer waren begeistert, lachten und applaudierten frenetisch; einige Nummern entbehrten nicht einer gewissen Komik. In einer parodistischen Szene sang ein Chor, angetan mit den gestreiften Gebetsschals von Rabbinern und von einem passablen Orchester begleitet, ein Stück aus der Johannespassion:
Wir haben ein Gesetz
und nach dem Gesetz
soll er sterben.
Bach, sagte ich mir, war ein frommer Mensch und hätte solche Späße nicht gebilligt. Aber ich musste zugeben, dass es komisch war. Hanika strahlte, er beklatschte alle Nummern; er schien glücklich zu sein. An diesem Abend fühlte ich mich wohl, ich hatte mich nicht übergeben und genoss die Wärme und die fröhliche Stimmung im Theater. In der Pause ging ich ans Buffet und lud Hanika zu einem Glas eisgekühltem Wodka ein; sein Gesicht rötete sich, er war nicht daran gewöhnt. Als ich meine Uniform vor einem Spiegel zurechtzupfte, bemerkte ich einen Fleck. »Was ist denn das, Hanika?«, fragte ich. »Was, Hauptsturmführer?« – »Der Fleck hier.« Er musterte die Stelle: »Ich sehe nichts, Hauptsturmführer.«– »Aber ja doch«, beharrte ich, »da ist ein Fleck, dort, da ist es ein bisschen dunkler. Sie müssen sie beim Waschen fester schrubben.« – »Ja, Hauptsturmführer.« Dieser Fleck störte mich; ich versuchte, ihn zu vergessen, trank ein weiteres Glas, dann kehrte ich zum zweiten Teil der Darbietung in den Zuschauerraum zurück. Hinterher ging ich in Hanikas Begleitung wieder die Karl-Liebknecht-Straße hinauf, die jetzt in Horst-Wessel-Straße oder etwas dergleichen umgetauft worden war, nach Hause. Weiter oben, in Höhe des Parks, nahmen ein paar alte Frauen, von Soldaten beaufsichtigt, einen Gehängten ab. Als ich das sah, dachte ich: Wenigstens haben die Russen, die wir aufhängen, Mütter, die ihnen den Schweiß von der Stirn wischen, die Augen schließen, die Arme über der Brust kreuzen und sie liebevoll bestatten. Ich dachte an all die Juden, die mit offenen Augen unter der Erde der Schlucht in Kiew lagen: Wir hatten ihnen nicht nur das Leben, sondern auch diese Liebe genommen, denn mit ihnen hatten wir ihre Mütter und Frauen und Schwestern getötet und ihnen niemanden gelassen, der um sie trauerte. Ihr Schicksal war die Bitternis eines Massengrabs, ihr Leichenmahl ein Mund voll fetter ukrainischer Erde, ihr Kaddisch das Heulen des Windes über der Steppe. Und das gleiche Schicksal zeichnete sich für ihre Glaubensbrüder aus Charkow ab. Blobel war endlich mit dem Hauptkommando eingetroffen und stellte zu seiner Empörung fest, dass, abgesehen von dem Befehl, den gelben Stern zu tragen, noch keine Maßnahmen getroffen worden waren. »Kümmern die bei der Wehrmacht sich denn um gar nichts?!! Wollen die den Winter mit dreißigtausend Saboteuren und Terroristen verbringen?« Er brachte Dr. Kehrigs Nachfolger mit, der gerade aus Deutschland eingetroffen war; so sah ich mich wieder auf meine früheren untergeordneten Tätigkeiten verwiesen, was mir angesichts meiner Erschöpfung gar nicht so unlieb war. Sturmbannführer Dr. Woytinek war ein kleiner, dürrer, griesgrämigerMann, der lebhaft bedauerte, dass er den Anfang der Kampagne verpasst hatte und nun hoffte, dass sich die Gelegenheit ergeben werde, das Versäumte rasch nachzuholen . Die Gelegenheit sollte sich tatsächlich ergeben, nur nicht sofort. Gleich nach ihrer Ankunft hatten Blobel und Vogt mit Vertretern des AOK Verhandlungen über eine neue Große Aktion aufgenommen. Doch inzwischen war von Rundstedt wegen des Rückzugs aus Rostow abberufen worden, und der Führer hatte Reichenau dazu bestimmt, Rundstedt an der Spitze der Heeresgruppe Süd abzulösen. Für ihn als Oberbefehlshaber der 6. Armee war noch kein Nachfolger ernannt worden; im Augenblick wurde das AOK von Oberst Heim, dem Chef des Stabes, geleitet; und dieser war in der Frage der Zusammenarbeit mit der Sipo und dem SD weit weniger entgegenkommend als sein ehemaliger Oberbefehlshaber. Er erhob keinen prinzipiellen Einwand, machte aber im Schriftverkehr täglich neue praktische Schwierigkeiten geltend, und
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