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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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vor einem opulent ausgerichteten Buffet tranken wir reichlich Kognak und anderen Schnaps mit den Offizieren der Wehrmacht, die ihre Gläser auf den Führer, den Endsieg und unser großes gemeinsames Werk leerten. Blobel und der Stadtkommandant General Reiner tauschten Geschenke aus; dann sangen die Offiziere mit schöner Stimme Weihnachtslieder. Zwei Tage später – die Wehrmacht hatte Wert darauf gelegt, den Termin auf Weihnachtenzu verlegen, um das Fest nicht zu verderben – wurden die Juden aufgefordert, sich freiwillig zu Arbeiten in Poltawa, Lubny und Romny zu melden. Es fror Stein und Bein, der Schnee bedeckte alles; in der Hoffnung, das Lager möglichst schnell verlassen zu können, drängten die vor Kälte erstarrten Juden zur Selektionsstelle. Wir ließen sie auf Lastwagen aufsitzen, die von Ukrainern gefahren wurden; ihr Besitz wurde auf andere Fahrzeuge verladen. Dann wurden sie nach Rogan gebracht, einem entlegenen Vorort, und in den Balki erschossen, tiefen Wasserrinnen, die unsere Landvermesser ausgewählt hatten. Die Habseligkeiten wurden in Sammelstellen gebracht, wo sie sortiert und anschließend von der NSV und der Vomi an die Volksdeutschen verteilt wurden. So wurde das Lager nach und nach geleert, in kleinen Gruppen, jeden Tag ein wenig mehr. Kurz vor Neujahr nahm ich an einer Exekution teil. Die Schützen waren ausschließlich junge, unerfahrene Freiwillige des Polizeibataillons 314, die erbärmlich schlecht schossen; es gab viele Verletzte. Die Offiziere brüllten sie an und ließen ihnen Alkohol reichen, doch das verbesserte ihre Treffsicherheit auch nicht. Das frische Blut spritzte in den Schnee, floss auf den Grund der Schlucht und bildete auf dem hartgefrorenen Boden Lachen; es gefror nicht, sondern stockte zähflüssig. Um uns her standen auf den weißen Feldern noch die grauen, abgestorbenen Strünke der Sonnenblumen. Alle Geräusche, selbst die Schreie und Schüsse, waren eigenartig gedämpft; unter den Stiefeln knirschte der Schnee. Auch der Saurer wurde eingesetzt, aber das sah ich mir nicht an. Jetzt übergab ich mich noch häufiger und fühlte, dass ich krank wurde; ich hatte Fieber, aber nicht genug, um das Bett zu hüten, eher längere Anfälle von Schüttelfrost und ein Gefühl der Zerbrechlichkeit, als verwandle sich meine Haut in sprödes Kristall. In einer Balka , zwischen den Schüssen, lief dieses Fieber in wütenden Schüben durch meinen Körper. Alles war weiß, schrecklich weiß,abgesehen vom Blut, das alles befleckte, den Schnee, die Männer, meinen Mantel. Am Himmel zogen große Schwärme von Wildenten geräuschlos nach Süden.
    Die Kälte richtete sich ein und machte es sich bequem, fast wie ein lebendiger Organismus, der sich auf der Erde ausbreitet und überall eindringt, selbst an den unerwartetsten Stellen. Sperath berichtete mir, dass die Wehrmacht Verluste durch Erfrierungen zu beklagen habe, die häufig Amputationen erforderlich machten: Die genagelten Sohlen der Knobelbecher hatten sich als guter Kälteleiter erwiesen. Jeden Morgen wurden tote Wachposten gefunden, denen das Gehirn erfroren war, weil sie sich den Stahlhelm direkt auf den Kopf gesetzt hatten, ohne Wollkapuze. Die Panzerfahrer mussten Reifen unter den Motoren verbrennen, um starten zu können. Ein Teil der Truppe hatte endlich warme Zivilkleidung erhalten, die in Deutschland von der Winterhilfe gesammelt worden war, allerdings handelte es sich um ein buntes Sammelsurium, sodass die Soldaten teilweise in Damenpelzmänteln oder mit Federboas und Muffs herumliefen. Die Zivilbevölkerung hatte unter verstärkten Plünderungen zu leiden: Die Soldaten nahmen ihnen gewaltsam ihre Tulups und Schapkas ab und gaben sie fast nackt der Kälte preis, der viele zum Opfer fielen. Vor Moskau, so hieß es, sei es noch schlimmer; seit die sowjetische Gegenoffensive Anfang des Monats eingesetzt habe, stürben unsere in die Defensive gedrängten Männer in ihren Stellungen wie die Fliegen, ohne den Feind auch nur gesehen zu haben. Auch politisch wurde die Situation unübersichtlich. In Charkow verstand niemand so richtig, warum wir den Amerikanern den Krieg erklärt hatten: »Wir haben doch wirklich schon genug am Hals«, schimpfte Häfner, sekundiert von Kurt Hans, »die Japaner können das doch alleine schaffen.« Andere, weitsichtiger, erblickten in einem japanischen Sieg eine Gefahr für Deutschland. Auch die Säuberung an der Spitze des Heeres warf Fragenauf. In der SS wurde die Tatsache, dass nun der Führer

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