Die Wohlgesinnten
Ich stand noch immer vor seinem Schreibtisch, ich sagte nichts. »Als kriegten wir nicht alle unsere Befehle von der gleichen Stelle … diese Schweinehunde. Wollen sich die Hände nicht schmutzig machen, die Scheißkerle von der Wehrmacht. Wollen uns die ganze Drecksarbeit überlassen.« Er hob den Kopf, sein Gesicht war puterrot. »Diese Halunken. Wollen hinterher sagen können: ›Oh nein, wie schrecklich. Wir waren das nicht. Das waren sie, die anderen, die Mörder von der SS. Wir haben damit nichts zu tun. Wir sind Soldaten, wir haben ehrenhaft gekämpft.‹ Aber wer hat all die Städte eingenommen, die wir ausmisten? Was? Wen beschützen wir, wenn wir die Partisanen vernichten und die Juden und das ganze Gesindel? Glauben Sie, die Wehrmacht beklagt sich darüber? Die bittet uns darum!« Er schrie jetzt so unbeherrscht, dass er Speichel versprühte. »Manstein, dieser Dreckskerl, dieser Heuchler, dieserHalbjud, der seinem Hund beibringt, die Pfote zu heben, wenn er ›Heil Hitler‹ hört, und der an der Wand hinter seinem Schreibtisch – das habe ich von Ohlendorf – eine Schrifttafel angebracht hat, auf der steht: Was würde wohl der Führer dazu sagen? Genau, was würde unser Führer dazu sagen? Was würde er dazu sagen, dass das AOK 11 von seiner Einsatzgruppe verlangt, alle Juden von Simferopol noch vor Weihnachten zu liquidieren, damit die Offiziere judenfrei feiern können? Und dass sie dann solchen Wisch über die Ehre der Wehrmacht in Umlauf bringen? Diese Schweine. Wer hat denn den Kommissarbefehl unterschrieben? Wer hat den Gerichtsbarkeitserlass unterschrieben? Wer war das? Der Reichsführer vielleicht?« Er hielt inne, um wieder zu Atem zu kommen und noch ein Glas zu trinken; er bekam den Schnaps in die falsche Kehle, verschluckte sich, hustete. »Und wenn’s schiefgeht, werden sie uns alles in die Schuhe schieben. Alles. Während die sich ganz sauber, ganz elegant aus der Affäre ziehen, indem sie mit so einem Arschwisch herumwedeln« – er riss mir das Blatt aus den Händen und fuhr damit durch die Luft – »und sagen: ›Nein, wir haben die Juden, die Kommissare, die Zigeuner nicht umgebracht, das können wir beweisen, sehen Sie, wir waren nicht einverstanden, das geht alles auf die Kappe des Führers und der SS‹ …« Sein Tonfall wurde weinerlich. »Scheiße, selbst wenn wir gewinnen, legen sie uns rein. Weil … hören Sie mir zu, Aue, hören Sie mir gut zu« – jetzt flüsterte er fast, seine Stimme war rau –, »das alles wird eines Tages rauskommen. Alles. Zu viele Leute wissen davon, zu viele Zeugen. Und wenn es rauskommt, ist mächtig was los, egal, ob wir den Krieg gewonnen oder verloren haben, das gibt einen mordsmäßigen Skandal. Da werden Köpfe rollen. Und es werden unsere Köpfe sein, die der Öffentlichkeit serviert werden, während das ganze Preußenpack, diese von Mansteins, von Rundstedts, von Brauchitschs und von Kluges auf ihre komfortablen Von-Soundso-Herrenhäuserzurückkehren und ihre Von-Soundso-Memoiren schreiben, wobei sie sich gegenseitig auf die Schultern klopfen, weil sie solche anständigen und ehrenhaften Von-Soundso-Soldaten waren. Und uns hauen sie in die Pfanne. Die veranstalten einen neuen 30. Juni, nur dass wir von der SS dieses Mal die Dummen sind. Diese Scheißkerle.« Er spuckte jetzt auf all seine Papiere. »Diese Scheißkerle, diese verdammten Scheißkerle. Unsere Köpfe auf dem Silbertablett, und sie mit ihren zarten weißen Händen, sauber und elegant, manikürt, ohne einen einzigen Blutfleck. Als hätte keiner von ihnen jemals einen Hinrichtungsbefehl unterzeichnet. Als hätte keiner von ihnen jemals den Arm ausgestreckt und ›Heil Hitler!‹ gebrüllt, als man von ihnen verlangte, die Juden zu töten.« Er sprang vom Stuhl auf, nahm Haltung an, die Brust vorgewölbt, den Arm fast senkrecht ausgestreckt, und grölte: »Heil Hitler! Heil Hitler! Sieg Heil!« Er ließ sich wieder auf den Stuhl fallen und murmelte: »Diese Scheißkerle. Diese ehrenhaften kleinen Schweinehunde. Wenn wir sie doch auch erschießen könnten. Nicht Reichenau, der ist ein Mushik, aber die anderen, all die anderen.« Er redete immer unzusammenhängender. Schließlich verstummte er. Ich nutzte die Gelegenheit, ihm rasch den Bericht von Woytinek zu geben und mich zu entschuldigen. Kaum dass ich durch die Tür war, begann er wieder zu brüllen, aber ich blieb nicht stehen.
Endlich traf sein Nachfolger ein. Blobel machte es kurz: Er hielt eine knappe Abschiedsrede und
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