Die Wohlgesinnten
der Ecke, in der Nähe des Opels, in dem unser Fahrer bei laufendem Motor wartete. Hanika wirkte blass, verschlossen; meine heftigen Vorwürfe der letzten Zeit hatten ihm offenbar zugesetzt; mir ging er ebenfalls auf die Nerven. Ein Junge stürzte aus einer Seitenstraße hervor und rannte auf den Platz. Er hielt etwas in der Hand. Auf Hanikas Höhe explodierte es. Die Detonation ließ die Fenster des Opels zerbersten, deutlich hörte ich das Glas auf dem Pflaster klirren. Von Panik ergriffen, gaben die Orpos einige Feuerstöße auf die spielenden Kinder ab. Die alten Frauen heulten auf, der Lumpenball löste sich im Blut auf. Ich lief zu Hanika: Er kniete im Schnee und hielt sich den Bauch. Seine picklige Gesichtshaut war erschreckend blass, bevor ich ihn erreichte, kippte sein Kopf nach hinten, und seine blauen Augen, ich sah es deutlich, vermischten sich mit dem Blau des Himmels. Der Himmel löschte ihm die Augen aus. Dann fiel er zur Seite. Der Bengel war tot, sein Arm abgerissen; auf dem Platz näherten sich die Polizisten schockiert den toten Kindern, die die Kolchosbäuerinnen unter schrillen Schreien in den Armen wiegten. Weinmann machte sich mehr Sorgen wegen des Übergriffs unserer Orpos als wegen Hanikas Tod: »Das ist unverzeihlich. Wir versuchen, unsere Beziehungen zur einheimischen Bevölkerung zu verbessern, und dann bringen wir ihre Kinder um. Sie müssen bestraft werden.« Skeptisch erwiderte ich: »Das dürfte schwierig werden, Standartenführer. Ihre Reaktion war unglücklich, aber verständlich. Außerdem lassen wir sie seit Monaten Kinder erschießen; wie können wir sie da für die gleiche Sache bestrafen?« – »Das ist nicht das Gleiche! Die Kinder, die wir hinrichten, sind verurteilt! Das hier waren unschuldige Kinder.« – »Wenn Sie gestatten, Standartenführer, die Rechtsgrundlage dieser Urteile lässt diese Unterscheidung ziemlich willkürlich erscheinen.«Er riss die Augen auf, seine Nasenflügel zitterten vor Zorn; dann besann er sich und wurde schlagartig wieder ruhig. »Wechseln wir das Thema, Hauptsturmführer. Ich möchte schon seit einigen Tagen mit Ihnen sprechen. Ich glaube, Sie sind sehr erschöpft. Dr. Sperath meint, Sie ständen am Rande eines Nervenzusammenbruchs.« – »Entschuldigen Sie, Standartenführer, aber erlauben Sie, dass ich dieser Auffassung entschieden widerspreche. Ich fühle mich durchaus wohl.« Er bot mir eine Zigarette an und steckte sich selbst eine an. »Hören Sie, Hauptsturmführer, ich bin gelernter Mediziner. Bestimmte Symptome kann auch ich erkennen. Sie sind, wie man so sagt, vollkommen ausgebrannt. Im Übrigen sind Sie nicht der Einzige: Fast alle Offiziere des Kommandos sind am Ende. Auf jeden Fall ist unsere Tätigkeit infolge des Winters stark eingeschränkt, sodass wir ein oder zwei Monate mit weniger Personal auskommen können. Eine gewisse Anzahl von Offizieren wird entweder abgelöst oder auf längeren Genesungsurlaub geschickt. Wer Familie hat, kehrt nach Deutschland zurück. Die anderen, wie Sie, kommen in eines der Wehrmachtssanatorien auf der Krim. Es soll dort sehr schön sein. In einigen Wochen können Sie dort sogar baden.« Ein kleines Lächeln glitt über sein schmales Gesicht, und er reichte mir einen Umschlag. »Hier, Ihr Marschbefehl und Ihre Atteste. Alles in Ordnung. Sie bleiben zwei Monate, und dann sehen wir weiter. Erholen Sie sich gut.«
Weinmanns Entscheidung hatte in mir einen völlig irrationalen Schub von Hass und Groll ausgelöst; doch bei meiner Ankunft auf der Krim begriff ich sofort, dass er Recht gehabt hatte. Während der langen Zugreise hatte ich kaum nachgedacht, stattdessen meine Gedanken über die weiten weißen Flächen schweifen lassen. Hanikas Tod ging mir nahe.Als ich zurückgekommen war, um zu packen, hatte mir der Anblick des leeren Zimmers einen Stich ins Herz versetzt; ich fühlte mich von Kopf bis Fuß mit Hanikas Blut besudelt und hatte mich wutentbrannt umgezogen; alle meine Uniformen schienen mir von zweifelhafter Sauberkeit, was mich rasend machte. Erneut hatte ich einen Brechanfall; aber Weinen kam nicht in Frage. Ich brach so rasch wie möglich auf, über Dnepropetrowsk nach Simferopol. Die meisten Männer im Zug waren Rekonvaleszenten oder Urlauber, die nach den Schrecken der Front wieder auf die Beine kommen sollten. Ein Stabsarzt erklärte mir, allein im Januar hätten wir durch Frost und Krankheiten Verluste erlitten, die zwölf Divisionen entsprächen. Die Temperaturen mäßigten sich
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