Die Wohlgesinnten
unsere Fahrzeuge halten, damit unser Führer, ein Tatar, beten konnte; ich ließ die anderen Offiziere schimpfen und stieg aus, um mir die Beine zu vertreten und zu rauchen. Beiderseits der Straße waren die Flüsse und Bäche ausgetrocknet und bildeten ein Netz von Balki , tiefen Einschnitten, die die Steppe durchzogen. Ringsum weder Bäume noch Hügel; nur die regelmäßig gesetzten Pfähle der »Indo-Europäischen Telegraphenlinie«, die Ende des 19. Jahrhunderts von Siemens erbaut worden war, unterbrachen die trostlose Weite. Das Wasser der Brunnen war salzig, der Kaffee schmeckte nach Salz, die Suppe schien vollends versalzen zu sein; mehrere Offiziere, die sich den Bauch mit Melonen vollgeschlagen hatten, bekamen Durchfall, was unser Vorankommen verlangsamte. Hinter Mariupol folgten wir einer schlechten Küstenstraße bis Taganrog und weiter nach Rostow. Hauptsturmführer Remmer, ein Offizier der Geheimen Staatspolizei, der das Vorkommando befehligte, ließ den Konvoi zweimal an breiten, mit gelb gewordenen Gräsern bewachsenen Kieselstränden halten, damit sich die Männer ins Wasser stürzen konnten; auf dem glühend heißen Kies trockneten wir in wenigen Minuten; dann hieß es wieder in die Kleider und weiter. In Rostow wurde unsere Kolonne von Sturmbannführer Dr. Christmann in Empfang genommen, der Seetzen an derSpitze des Sonderkommandos 10 a ablöste. Er hatte gerade die Exekution der jüdischen Bevölkerung in der so genannten Schlangenschlucht auf der anderen Seite des Dons abgeschlossen; außerdem hatte er ein Vorkommando in das zwei Tage zuvor gefallene Krasnodar geschickt, wo das V. Armeekorps einen Berg sowjetischer Dokumente entdeckt hatte. Ich bat ihn, sie so rasch wie möglich analysieren zu lassen und mir alle Informationen über Funktionäre und Parteimitglieder zu übermitteln, damit ich das kleine vertrauliche Heft vervollständigen konnte, das mir Seibert in Simferopol für seinen Nachfolger anvertraut hatte; es enthielt, in kleinen Buchstaben auf Bibelpapier, die Namen, Adressen und häufig auch Telefonnummern der aktiven Kommunisten, parteilosen Intellektuellen, Wissenschaftler, Professoren, Schriftsteller und berüchtigten Journalisten, der Funktionäre, Leiter von Staatsbetrieben, Kolchosen und Sowchosen aus der ganzen Region Kuban-Kaukasus; sogar Listen von Freunden und Familienangehörigen, Beschreibungen körperlicher Kennzeichen und einige Fotos waren angefügt. Christmann informierte uns auch über das Vorrücken der Kommandos: Das Sk 11, noch unter dem Kommando Dr. Braunes, eines Intimus von Ohlendorf, war gerade mit der 13. Panzerdivision in Maikop eingerückt; Persterer wartete mit seinem Sk 10b immer noch in Taman, doch ein Vorkommando des Ek 12 befand sich schon in Woroschilowsk, wo sich der Gruppenstab bis zur Einnahme von Grosny einrichten sollte; Christmann selbst bereitete sich darauf vor, sein Hauptkommando plangemäß nach Krasnodar zu verlegen. Ich sah fast nichts von Rostow; Remmer wollte weiter und gab gleich nach der Mahlzeit den Befehl zum Aufbruch. Jenseits des Dons, dessen immense Breite Pioniere mit Pontons überbrückt hatten, erstreckten sich kilometerweit reife Maisfelder, die sich nach und nach in der weiten wüstenartigen Kubansteppe verloren; weiter im Osten verlief die unregelmäßige Linie der Seen und Sümpfe derManytschniederung, gelegentlich von Stauseen hinter gigantischen Talsperren unterbrochen; für einige Geographen markiert sie die Grenze zwischen Europa und Asien. Die Vorhutkolonnen der 1. Panzerarmee, die in geschlossenen Karrees marschierten, Lkws und Artillerie, von Panzern flankiert, waren auf fünfzig Kilometer zu erkennen: riesige Staubsäulen im blauen Himmel, gefolgt vom trägen schwarzen Rauchschleier der in Brand geschossenen Dörfer. In ihrem Gefolge begegneten wir kaum einmal Nachschubkolonnen oder Verstärkungstruppen auf dem Weg zur Front. In Rostow hatte Christmann uns eine Kopie jener Meldung Kleists gezeigt, die es später zu Berühmtheit bringen sollte: Vor mir kein Feind, hinter mir kein Nachschub. Und die Leere dieser endlosen Steppe hatte tatsächlich etwas Erschreckendes. Wir kamen nur mit Mühe voran: Die Panzer hatten die Wege in Meere aus feinem Sand verwandelt; unsere Fahrzeuge fuhren sich oft darin fest, und wenn wir ausstiegen, sackten wir manchmal bis zum Knie ein, wie in Schlamm. Vor Tichorezk zeigten sich endlich die ersten Sonnenblumenfelder, gelbe himmelwärts gewandte Flächen, Vorboten des Wassers. Dann begann
Weitere Kostenlose Bücher