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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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das Paradies der Kubankosaken. Die Straße durchquerte jetzt bebaute Felder – Mais, Weizen, Hirse, Gerste, Tabak, Melonen; es gab auch Brachflächen, mit Disteln bewachsen, hoch wie Pferde, von rosa und violetten Spitzen gekrönt; und über allem ein weiter wolkenloser Himmel, zart und blass. Die Kosakendörfer waren reich, jede Isba hatte ihre Obstbäume – Pflaumen, Aprikosen, Äpfel, Birnen –, ihre Tomaten, Melonen, Rebstöcke, einen Hühnerhof, einige Schweine. Als wir Halt machten, um zu essen, wurden wir herzlich empfangen, man brachte uns frisches Brot, Omeletts, gebratene Schweinekoteletts, grüne Zwiebeln und kaltes Brunnenwasser. Dann tauchte Krasnodar auf, wo wir Lothar Heimbach wiedertrafen, den Führer des Vorkommandos. Remmer befahl einen Halt von drei Tagen,um die beschlagnahmten Papiere, die Christmann seit seiner Ankunft übersetzen ließ, zu sichten und zu erörtern. Auch Dr. Braune kam von Maikop zu Besprechungen herüber. Danach machte sich unser Vorkommando auf den Weg nach Woroschilowsk.
    Die Stadt tauchte in der Ferne auf, ausgebreitet auf einem Hochplateau und von Feldern und Obstgärten umgeben. Die Straße war hier von umgestürzten Fahrzeugen, schweren Waffen und zerstörten Panzern gesäumt; auf den Schienen in der Ferne standen noch Hunderte von Güterwagen in munter flackernden Flammen. Früher einmal hatte diese Stadt Stawropol geheißen, was auf Griechisch so viel wie »Stadt des Kreuzes« oder vielmehr »Stadt der Wegkreuzung« heißt; sie war am Schnittpunkt zweier alter nach Norden führender Straßen gegründet worden und hatte den russischen Truppen im 19. Jahrhundert, während des Feldzugs zur Befriedung der Bergstämme, als Garnison gedient. Jetzt war sie eine kleine Provinzstadt, friedlich und verschlafen, die nicht rasch genug gewachsen war, um wie so viele andere durch eine dieser grässlichen sowjetischen Vorstädte verunstaltet worden zu sein. Vom Bahnhof aus führte ein langer Doppelboulevard zu beiden Seiten eines Platanenhains bergan; unten bemerkte ich eine schöne Jugendstilapotheke, mit einer Eingangstür und großen Rundfenstern, deren Scheiben von den Detonationen zerstört worden waren. Auch der Kommandostab des Ek 12 traf ein, und wir bezogen eine vorläufige Unterkunft im Hotel Kawkas . Sturmbannführer Dr. Müller, der Chef des Einsatzkommandos, sollte die Ankunft des Gruppenstabs vorbereiten, hatte aber noch keine Entscheidungen treffen können; alles war noch völlig ungeklärt, denn man erwartete auch den Generalstab der Heeresgruppe A, und Oberst Hartung von der Feldkommandantur zögerte noch, uns Unterkünfte zuzuweisen: Das Einsatzkommando hatte seine Dienststelle bereits im Haus der Roten Armee gegenüberdem NKWD-Gebäude eingerichtet, doch es hieß, der Gruppenstab solle beim Stab der Heeresgruppe unterkommen. Trotzdem hatte das Vorkommando keinen Mangel an Arbeit. Gleich nach der Ankunft hatten sie in einem Saurer-Lkw mehr als sechshundert Patienten einer psychiatrischen Klinik vergast, die als potenzielle Unruhestifter eingestuft worden waren; einige hatten sie zu erschießen versucht, aber das hatte zu einem Zwischenfall geführt: Einer der Verrückten fing an, im Kreis herumzulaufen, und der Hauptscharführer, der versuchte, ihn niederzuschießen, hatte schließlich abgedrückt, als sich einer seiner Kameraden in der verlängerten Schusslinie befand; die Kugel hatte den Unterführer am Arm verletzt, nachdem sie den Kopf des Verrückten durchschlagen hatte. Die jüdischen Gemeindeältesten waren ins ehemalige NKWD-Büro bestellt und ebenfalls vergast worden. Schließlich hatte das Vorkommando noch zahlreiche sowjetische Gefangene erschossen, draußen vor der Stadt, in der Nähe eines versteckten Lagers für Flugzeugbenzin; die Leichen wurden in unterirdische Lagertanks geworfen.
    Das Einsatzkommando 12 sollte nicht in Woroschilowsk bleiben, ihm hatte man eine Zone zugewiesen, die bei den Russen KMW heißt, Kawkasskije Mineralnyje Wody – »Kaukasische Mineralwässer« –, ein Kranz von kleinen Kurorten, die, zwischen ehemaligen Vulkanen verstreut, für ihre Heilquellen und -bäder bekannt sind; das Einsatzkommando sollte sich, sobald die Region besetzt war, in Pjatigorsk einrichten. Dr. Bierkamp und der Gruppenstab trafen eine Woche nach uns ein; die Wehrmacht hatte uns endlich in einem separaten Flügel des großen Gebäudekomplexes, der den Stab der Heeresgruppe beherbergte, Unterkünfte und eine Dienststelle zugewiesen: Es war eigens eine

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