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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Waffen-SS eingegliedert, doch Lippert wollte seine Männer nicht ohne Kommandeur lassen und wartete acht Monate später noch immer auf seine Ablösung. Degrelle dagegen kam mit heiler Haut davon; zum Schluss, im Zuge der allgemeinen Auflösung, ließ er seine Männer bei Lübeck im Stich und floh im Privatflugzeug von Minister Speer nach Spanien. Obwohl in Abwesenheit zum Tode verurteilt, wurde er nie ernsthaft behelligt. Der arme Lippert hätte sich einer solchen Haltung geschämt.
     
    Ich kehrte nach Woroschilowsk zurück, während unsere Truppen Mosdok einnahmen, ein wichtiges militärisches Zentrum der Sowjets; die Front folgte jetzt dem Verlauf der Flüsse Terek und Baksan, und die 111. Infanteriedivision schickte sich an, über den Terek zu setzen und in Richtung Grosny vorzustoßen. Unsere Kommandos waren nicht untätig: In Krasnodar hatte das Sk 10a neben den dreihundertPatienten der psychiatrischen Klinik des Bezirks auch noch die einer psychiatrischen Kinderklinik liquidiert; in der KMW bereitete Dr. Müller eine größere Aktion vor und hatte bereits in jeder Stadt einen Judenrat bilden lassen; die Juden von Kislowodsk, deren Rat von einem Zahnarzt geleitet wurde, hatten sich so beflissen gezeigt, dass sie uns ihre Teppiche, ihren Schmuck und ihre warme Kleidung übergaben, noch bevor sie den Befehl dazu erhalten hatten. Der HSSPF Korsemann erreichte Woroschilowsk mit seinem Stab am Tag meiner Rückkehr und lud uns am Abend zu seiner Begrüßungsrede ein. Ich hatte schon in der Ukraine von Korsemann gehört: Er war alter Freikorpskämpfer und SA-Mann, vorwiegend im Hauptamt Orpo tätig gewesen und erst spät, kurz vor dem Krieg, in die SS eingetreten. Es hieß, Heydrich habe ihn nicht haben wollen und ihn einen SA-Agitator genannt; doch er wurde von Daluege und Bach-Zelewski protegiert, und daher hatte der Reichsführer beschlossen, ihn zum HSSPF zu machen, indem er ihn nach und nach die Leiter hinaufklettern ließ. In der Ukraine diente er bereits als HSSPF z. b. V., zur besonderen Verwendung, war aber weitgehend im Schatten Prützmanns geblieben, der Jeckeln im November 1941 als HSSPF Russland-Süd nachgefolgt war. Korsemann hatte sich also noch immer nicht bewähren können; die Offensive im Kaukasus gab ihm Gelegenheit, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Das schien eine Begeisterung in ihm geweckt zu haben, die sich auch in seiner Rede mitteilte. Die SS habe, so verkündete er markig, nicht nur negative Aufgaben wahrzunehmen, also Sicherung und Bestrafung, sondern auch positive Aufgaben, an denen die Einsatzgruppe beteiligt sein könne und müsse: so zum Beispiel positive Propaganda bei den Einheimischen; Kampf gegen Infektionskrankheiten; Instandsetzung der Genesungsheime für die Verwundeten der Waffen-SS; produktive Tätigkeit in der Wirtschaft, vor allem der Erdölindustrie, aberauch in anderen, noch nicht zugewiesenen Montanbetrieben, deren Leitung die SS im Rahmen ihrer eigenen Firmen übernehmen könnte. Großen Wert legte er auch auf das Kapitel der Beziehungen zur Wehrmacht: »Sie sind vermutlich alle über die diesbezüglichen Probleme informiert, die die Arbeit der Einsatzgruppe am Anfang des Feldzugs beeinträchtigt haben. Um alle weiteren Zwischenfälle zu vermeiden, werden die Beziehungen der SS zum Stab der Heeresgruppe und den AOKs zentral von meiner Dienststelle geregelt. Kein SS-Offizier unter meinem Kommando ist befugt, Fragen von Bedeutung, die über die üblichen Kontakte und Arbeitsbeziehungen hinausgehen, direkt mit der Wehrmacht zu verhandeln. Sie können davon ausgehen, dass ich gegen jeden, der hier unbedacht handelt, mit aller Härte vorgehen werde.« Doch trotz dieser ungewöhnlichen Schroffheit, die wohl vor allem aus der Unsicherheit des Neuankömmlings erwuchs, der sich in seiner Rolle noch nicht ganz zu Hause fühlte, sprach Korsemann sehr gewandt und entwickelte großen persönlichen Charme; der allgemeine Eindruck war eher positiv. Später am Abend, bei einer zwanglosen Zusammenkunft der Leutnants, lieferte Remmer eine Erklärung für die sehr strikte Haltung Korsemanns: den beunruhige nämlich, dass er praktisch immer noch keine echte Befehlsgewalt habe. Nach dem Prinzip der doppelten Unterordnung war die Einsatzgruppe direkt dem RSHA unterstellt, sodass Bierkamp auf diesem Umweg jeden Befehl Korsemanns konterkarieren konnte, der ihm nicht behagte; Gleiches galt für die SS-Ökonomen des WVHA und natürlich auch für die Waffen-SS, die militärisch der

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