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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Gegend kämpfte; Brasillach hatte mir in Paris überschwänglich von ihm erzählt. Doch der Abwehrhauptmann, an den ich mich wandte, lachte mir ins Gesicht: »Degrelle? Den will jeder treffen. Er ist bestimmt der berühmteste Unteroffizier der Wehrmacht. Aber er ist an der Front, und da geht es heiß her. General Rupp wäre letzte Woche beinahe bei einem Überraschungsangriff getötet worden. Die Belgier haben viele Leute verloren.« Stattdessen machte er mich mit Lippert bekannt, einem jungen Offizier, dürr und eher unbekümmert, in einem zerknitterten, geflickten Feldgrau, das etwas zu groß für ihn war. Ich nahm ihn mit unter den Apfelbaum meiner Schenke, um mit ihm über belgische Politik zu sprechen. Lippert war Berufssoldat, Artillerist; sein Antibolschewismus hatte ihn veranlasst, in die Legion einzutreten, er war aber ein echter Patriot geblieben und beklagte sich, dass die Legionäre entgegen allen Versprechen weiterhin gezwungen seien, die deutsche Uniform zu tragen. »Die Männer waren wütend. Degrelle hatte Mühe, die Wogen zu glätten.« Als Degrelle eingetreten war, hatte er gedacht, seine politische Rolle würde ihn in den Offiziersrang befördern, doch die Wehrmacht hatte sofort abgewinkt: keine Erfahrung. Lippert konnte sich noch immer darüber amüsieren. »Na gut, er ist trotzdem mitgekommen, als einfacher MG-Schütze. Allerdings hatte er keine große Wahl, in Belgien lief es nicht besonders gut für ihn.« Obwohl er in Gromowo-Balka die Übersicht verloren habe, verhalte er sich seither im Gefecht so tapfer, dass er schon befördertworden sei. »Ärgerlich ist nur, dass er sich für eine Art politischen Kommissar hält, verstehen Sie? Er will selbst über den Einsatz der Legion verhandeln, das geht nicht. Schließlich ist er nur Unteroffizier.« Inzwischen träume er davon, die Legion in die Waffen-SS einzugliedern. »Letzten Herbst hat er Ihren General Steiner kennengelernt, das hat ihm vollkommen den Kopf verdreht. Doch ich sage Nein. Wenn er das macht, bitte ich um meine Ablösung.« Sein Gesicht war sehr ernst geworden. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen die SS. Aber ich bin Soldat, und in Belgien machen Soldaten keine Politik. Das ist nicht unsere Aufgabe. Ich bin Royalist, ich bin Patriot, ich bin Antikommunist, aber ich bin kein Nationalsozialist. Als ich mich gemeldet habe, hat man mir versichert, dass dieser Schritt mit meinem Treueschwur gegenüber dem König vereinbar sei, daher fühle ich mich noch immer nicht von ihm entbunden, egal, was die anderen sagen. Der Rest, die politischen Spielchen mit den Flamen, all das ist nicht mein Problem. Doch die Waffen-SS ist keine reguläre Waffengattung, sondern ein Verband der Partei. Degrelle sagt, nur wer an der Seite Deutschlands gekämpft habe, werde nach dem Krieg mitreden können, werde einen Platz in der neuen europäischen Ordnung finden. Einverstanden, deshalb muss man aber noch lange nicht übertreiben.« Ich lächelte: Trotz seiner Heftigkeit gefiel mir Lippert, er war ein aufrichtiger, rechtschaffener Mann. Ich goss ihm Wein nach und brachte das Gespräch auf ein anderes Thema: »Sie dürften die ersten Belgier sein, die im Kaukasus kämpfen.« – »Glauben Sie das ja nicht!« Er lachte schallend und berichtete mir dann rasch von den unglaublichen Abenteuern des Don Juan van Halen, des Helden der belgischen Revolution von 1830, eines halb flämischen, halb spanischen Aristokraten und ehemaligen napoleonischen Offiziers, der wegen seiner liberalen Einstellung unter Ferdinand VII. in den Madrider Kerkern der Inquisition gelandet war. Er wargeflohen und aus Gott weiß was für Gründen in Tiflis gestrandet, wo ihm General Jermolow, der Oberbefehlshaber der russischen Kaukasusarmee, ein Kommando angeboten hatte. »Er hat gegen die Tschetschenen gekämpft«, sagte Lippert lachend, »stellen Sie sich das vor!« Ich musste auch lachen, ich fand ihn sehr sympathisch. Aber er musste fort; das AOK 17 bereitete die Offensive auf Tuapse vor, um den Endpunkt der Ölleitung in die Hand zu bekommen, und die Legion, die der 97. Jägerdivision angegliedert war, sollte daran mitwirken. Als wir uns trennten, wünschte ich ihm viel Glück. Zwar verließ Lippert den Kaukasus wie sein Landsmann van Halen lebend, doch etwas später ließ ihn das Glück im Stich: Gegen Ende des Krieges erfuhr ich, dass er im Februar 1944, beim Ausbruch aus dem Kessel Tscherkassy, gefallen war. Die Legion »Wallonien« wurde im Juni 1943 der

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