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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Führer sitzt in Winniza. Aber da er ja ein Genie ist, wird er schon eine Lösung finden.« Sein Tonfall wurde immer ätzender. »Er befehligt ja bereits das Reich, die Wehrmacht und das Heer. Nun auch noch eine Heeresgruppe. Glauben Sie, er wird so weitermachen? Er könnte das Kommando einer Armee, dann eines Korps, dann einer Division übernehmen. Wer weiß, am Ende wäre er vielleicht wieder Gefreiter an der Front, wie zu Anfang.« – »Ich finde Sie ziemlich unverschämt«, sagte ich kühl. – »Und Sie, mein Bester, können sich zum Teufel scheren. Sie befinden sich hier in einem Frontabschnitt, hier ist die SS nicht mehr zuständig.« Eine Ordonnanz trat ein. »Ihr Führer«, informierte mich der Offizier. »Einen schönen Tag noch.« Wortlos ging ich hinaus. Ich war empört, aber auch beunruhigt: Wenn unsere Offensive im Kaukasus, auf die wir alles gesetzt hatten, stecken blieb, war das ein schlechtes Zeichen. Die Zeit arbeitete nicht für uns. Der Winter rückte näher und der Endsieg in immer weitere Ferne, genauso wie die magischen Gipfel des Kaukasus. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass wenigstens Stalingrad in Bälde fallen würde; das würde Kräfte freisetzen, mit denen sich der Vormarsch hier wieder aufnehmen ließe.
    Das Sonderkommando hatte sich in einem teilweise in Trümmern liegenden Flügel einer russischen Kaserne eingerichtet; einige Säle waren noch zu benutzen, andere mit Brettern vernagelt. Ich wurde von dem Chef des Kommandos empfangen, einem dürren Österreicher mit Führerbärtchen, Sturmbannführer Alois Persterer. Er war ein SD-Mann, ehemals Leiter in Hamburg, als Bierkamp dort der Kripo vorgestanden hatte; aber er schien keine besonders enge Beziehung zu Bierkamp bewahrt zu haben. Knapp und prägnant skizzierte er mir die Lage: In Prochladny hatte ein Teilkommando Kabardiner und Balkaren, die mit den bolschewistischen Behörden zusammengearbeitet hatten, sowie Juden und Partisanen liquidiert; in Mosdok hatte man, abgesehen von einigen verdächtigen Fällen, die vom LII. Korps überstellt worden waren, noch nicht richtig begonnen. Es gab Berichte über einen jüdischen Kolchos in der Gegend; er würde Nachforschungen anstellen und sich darum kümmern. Jedenfalls gab es nicht allzu viele Partisanen, und die Einheimischen im Kampfgebiet schienen den Roten gegenüber feindselig eingestellt zu sein. Ich fragte ihn nach der Beziehung zur Wehrmacht. »Ich kann noch nicht einmal mittelmäßig sagen«, erwiderte er schließlich. »Ich habe den Eindruck, dass sie uns kaum beachten.« – »Ja, das Scheitern der Offensive scheint sie zu beunruhigen.« Die Nacht verbrachte ich in Mosdok, auf einem Feldbett, das man in einem der Büros aufgeschlagen hatte, und brach am folgenden Morgen wieder auf; Persterer hatte mir vorgeschlagen, einer Exekution mit ihrem Gas-Lkw in Prochladny beizuwohnen, aber ich hatte höflich dankend abgelehnt. In Woroschilowsk stellte ich mich Dr. Leetsch vor, einem älteren Offizier mit schmalem, kantigem Gesicht, ergrauendem Haar und einem missmutigen Zug um den Mund. Nachdem er meinen Bericht gelesen hatte, begann er ein Gespräch. Ich schilderte ihm meine Eindrücke von der Moral der Wehrmacht. »Ja«, sagte er schließlich, »Siehaben vollkommen Recht. Deshalb halte ich es für wichtig, dass wir unsere Beziehungen zu ihnen wieder verbessern. Ich werde mich selbst um das Verhältnis zum Stab der Heeresgruppe kümmern, aber ich möchte einen guten Verbindungsoffizier nach Pjatigorsk abkommandieren, zum Ic des AOK. Ich wollte Sie bitten, diesen Posten zu übernehmen.« Ich zögerte einen Augenblick; ich fragte mich, ob die Idee wirklich von ihm kam oder ob sie ihm während meiner Abwesenheit von Prill eingeflüstert worden war. Schließlich erwiderte ich: »Meine Beziehungen zum Einsatzkommando 12 sind nicht die besten. Ich hatte eine Auseinandersetzung mit einem seiner Offiziere und befürchte, das könnte Komplikationen geben.« – »Machen Sie sich deshalb keine Gedanken. Sie werden nicht viel mit ihnen zu tun haben. Sie nehmen Quartier beim AOK und erstatten mir persönlich Bericht.«
     
    So kehrte ich nach Pjatigorsk zurück, wo man mir eine Unterkunft etwas außerhalb des Zentrums anwies, in einem Sanatorium am Fuße des Maschuk (dem höchstgelegenen Teil der Stadt). Mein Zimmer hatte eine Terrassentür und einen kleinen Balkon, von dem aus ich den langen kahlen Kamm des Gorjatschaja-Bergs mit seinem chinesischen Pavillon und spärlichen Baumbewuchs

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