Die Wohlgesinnten
den Mann um den Hals gefasst hatte, betrachtete mich aus großen blauen Augen. Er mochte zwei Jahre alt sein. »Ich weiß, was Sie hier tun«, sagte der Mann ruhig. »Es ist ungeheuerlich. Ich wollte Ihnen nur wünschen, dass Sie diesen Krieg überleben, damitSie in zwanzig Jahren Nacht für Nacht schreiend aus dem Schlaf schrecken. Ich hoffe, dass Sie Ihre Kinder dann nicht anblicken können, ohne die unseren zu sehen, die Sie ermordet haben.« Er wandte sich um und entfernte sich, bevor ich antworten konnte. Über seine Schulter starrte mich das Kind unverwandt an. Bolte kam zu mir herüber: »Was für eine Unverschämtheit! Wie kann er es wagen? Sie hätten reagieren müssen.« Ich zuckte die Achseln. Was sollte es. Bolte wusste doch genau, was wir mit dem Mann und seinem Kind machen würden. Es war natürlich, dass er den Wunsch hatte, uns zu beleidigen. Ich ging fort und wandte mich zum Ausgang. Orpos umringten eine Gruppe in Unterzeug und trieben sie zum Panzergraben, der einen Kilometer entfernt war. Ich sah ihnen nach. Der Graben war so abgelegen, dass die Schüsse nicht zu hören waren; aber diese Menschen mussten ahnen, welches Schicksal sie erwartete. Bolte rief mir zu: »Kommen Sie?« Unser Fahrzeug überholte die Gruppe, deren Abmarsch ich beobachtet hatte; die Frauen hielten ihre Kinder fest an der Hand, sie zitterten vor Kälte. Dann tauchte der Graben vor uns auf. Soldaten und Orpos standen mit höhnischen Gesichtern untätig herum; ich hörte Lärm und Schreie. Ich drängte mich durch die Soldaten und sah Turek, der mit einer Schaufel auf einen fast nackten Mann am Boden einschlug. Zwei weitere blutüberströmte Leichen lagen vor ihm; ein Stück weiter standen entsetzte Juden, von Soldaten beaufsichtigt. »Ungeziefer!«, brüllte Turek mit herausquellenden Augen. »Kriech, Jude!« Er traf den Kopf mit der Kante der Schaufel; der Schädel des Mannes gab nach, Blut und Hirnmasse spritzten auf Tureks Stiefel; deutlich sah ich, wie ein Auge, durch den Hieb hinausgeschleudert, ein paar Schritte weit flog. Die Männer wieherten. Mit zwei Sprüngen erreichte ich Turek und packte ihn grob am Arm: »Sind Sie verrückt geworden? Hören Sie sofort damit auf!« Ich war aschfahl und zitterte am ganzen Leib. Wutentbranntdrehte Turek sich zu mir um und machte Miene, die Schaufel gegen mich zu erheben; dann ließ er sie sinken und befreite seinen Arm mit einem Ruck. Auch er zitterte. »Mischen Sie sich nicht in Dinge ein, die Sie nichts angehen«, stieß er hervor. Sein Gesicht war scharlachrot, er schwitzte und blickte wild umher. Dann warf er die Schaufel zu Boden und ging fort. Bolte war zu mir getreten; mit ein paar scharfen Worten befahl er Pfeiffer, der schwer atmend in der Nähe stand, die Leichen fortzuräumen und mit der Exekution fortzufahren. »Sie hatten kein Recht einzugreifen«, warf er mir vor. »Na hören Sie, solche Dinge sind doch unmöglich!« – »Vielleicht, aber das Kommando untersteht Sturmbannführer Müller. Sie sind nur als Beobachter hier.« – »Gut. Wo ist dann bitte Sturmbannführer Müller?« Ich zitterte noch immer. Ich ging zum Wagen zurück und befahl dem Fahrer, nach Pjatigorsk zurückzukehren. Ich wollte mir eine Zigarette anzünden; meine Hände zitterten weiter, ich bekam sie nicht unter Kontrolle und hatte Mühe mit dem Feuerzeug. Schließlich schaffte ich es und machte ein paar Züge, bevor ich die Zigarette aus dem Fenster warf. Abermals, nur in entgegengesetzter Richtung, begegneten wir der Kolonne, die im Gleichschritt marschierte; aus dem Augenwinkel sah ich einen Jugendlichen aus der Reihe laufen und meine Kippe aufheben, um gleich darauf wieder seinen Platz einzunehmen.
In Pjatigorsk konnte ich Müller nicht finden. Die Wache glaubte, er sei beim AOK, war sich aber nicht sicher; ich überlegte, ob ich auf ihn warten sollte, beschloss dann aber abzufahren: Ich wollte Bierkamp lieber direkt von dem Zwischenfall berichten. Ich fuhr im Sanatorium vorbei, um meine Sachen abzuholen, und schickte meinen Fahrer zum AOK tanken. Es war nicht ganz korrekt, ohne Abschied abzufahren; aber ich hatte keine Lust, mich von ihnen zu verabschieden. In Mineralnyje Wody führte die Straße nicht weit an der Fabrik vorbei, die jenseits der Eisenbahnlinie unterhalb desGebirges lag; ich ließ nicht halten. Zurück in Woroschilowsk, setzte ich meinen Bericht auf, wobei ich mich im Wesentlichen auf die technischen und organisatorischen Aspekte der Aktion beschränkte. Aber ich flocht auch
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