Die Wohlgesinnten
Kaukasus verglich, der, wie er schrieb, ›Vagina der Völker‹.« Er lachte vergnügt. Ich hätte das Gespräch gerne fortgesetzt, vor allem über die Rassentheorien, aber er stand schon auf: »Ich muss aufbrechen. Wollen Sie mit Oberländer zu Abend essen, wenn er Zeit hat?« – »Gern.« – »Dann im Kasino? Gegen acht.« Er eilte die Treppe hinunter. Ich setzte mich wieder und betrachtete die Schach spielenden Alten. Es wurde herbstlicher: Die Sonne versank bereits hinter dem Maschuk, färbte den Kamm rosa und warf weiter unten, auf dem Boulevard, einen orangefarbenen Widerschein zwischen die Bäume, bis hin zu den Fensterscheiben und dem grauen Verputz der Fassaden.
Gegen halb acht stieg ich vor dem Kasino aus dem Auto. Voss war noch nicht da, und ich bestellte einen Kognak, mit dem ich mich in eine etwas abseits gelegene Nische zurückzog. Einige Minuten später trat Kern ein, musterte prüfend den Saal und kam auf mich zu. »Ich habe Sie gesucht, Hauptsturmführer!« Er nahm seine Mütze ab und sah sich um; er machte einen verlegenen, nervösen Eindruck. »Ich wollte Sie auf etwas aufmerksam machen, Hauptsturmführer, was Sie interessieren dürfte.« – »Ja?« Er zögerte: »Man … Sie sind häufig in Begleitung dieses Wehrmachtsleutnants. Das … wie soll ich sagen? Das gibt Anlass zu Gerüchten.« – »Was für Gerüchten?« – »Gerüchten, die … sagen wir, gefährlichen Gerüchten. Die Art Gerüchte, die einen direkt ins Konzentrationslager bringen.« – »Ich verstehe.« Ich ließ mir nichtdas Geringste anmerken. »Und diese Gerüchte werden nicht zufällig durch ganz bestimmte Leute in Umlauf gebracht?« Er wurde blass: »Mehr möchte ich nicht sagen. Ich finde das erbärmlich und schäbig, wollte Sie aber davon in Kenntnis setzen, damit Sie … damit Sie dafür sorgen können, dass das nicht noch weitere Kreise zieht.« Ich stand auf und reichte ihm die Hand: »Vielen Dank für diese Information, Kern. Aber Leute, die feige schmutzige Gerüchte ausstreuen, statt es einem ins Gesicht zu sagen, verachte und ignoriere ich.« Er schüttelte mir die Hand: »Ich verstehe Ihre Haltung sehr gut. Aber passen Sie trotzdem auf.« Ich setzte mich wutentbrannt wieder hin: Das führten sie also im Schilde! Überdies lagen sie vollkommen schief. Ich sagte es schon: Ich gehe nie eine Beziehung zu meinen Geliebten ein; Freundschaft ist etwas ganz anderes. Ich habe auf dieser Welt nur einen einzigen Menschen geliebt, und selbst wenn ich diesen Menschen nie wieder sähe, würde mir das genügen. Doch so beschränkter Abschaum wie dieser Turek und seine Freunde würde das nie verstehen. Ich beschloss, mich zu rächen; ich wusste zwar noch nicht, wie, aber die Gelegenheit würde sich schon ergeben. Kern war ein anständiger Mensch, es war gut, dass er mich informiert hatte: Ich hatte Zeit zum Nachdenken.
Voss traf wenig später in Begleitung Oberländers ein. Ich war noch immer in Gedanken vertieft. »Guten Abend, Herr Professor«, sagte ich und gab Oberländer die Hand. »Es ist lange her.« – »Ja, ja, seit Lemberg ist einiges passiert. Und dieser andere junge Offizier, der Sie begleitet hat?« – »Hauptsturmführer Hauser? Er dürfte noch immer bei der Gruppe C sein. Ich habe einige Zeit nichts von ihm gehört.« Ich folgte ihnen ins Restaurant und ließ Voss bestellen. Man brachte uns Wein aus Kachetien. Oberländer wirkte erschöpft. »Ich habe gehört, Sie befehligen eine neue Sondereinheit?«, fragte ich ihn. »Ja, das Kommando Bergmann. Alle meine Männer sind kaukasische Gebirgler.« – »Was füreiner Nationalität?«, fragte Voss neugierig. »Oh, da ist alles vertreten. Karatschaier und Zirkassier natürlich, aber auch Inguschen, Awaren, Laken, die man in den Stalags angeworben hat. Ich habe sogar einen Swanen.« – »Großartig! Mit dem würde ich gerne einmal reden.« – »Dann müssten Sie nach Mosdok fahren. Sie sind dort mit der Bandenbekämpfung befasst.« – »Sie haben nicht zufällig auch Ubychen?«, fragte ich ihn schalkhaft. Voss musste lachen. »Ubychen? Nein, ich glaube nicht. Was hat es damit auf sich?« Voss erstickte fast an seinem unterdrückten Lachen, Oberländer blickte ihn verständnislos an. Ich bemühte mich, ernst zu bleiben: »Eine Marotte von Dr. Voss. Er glaubt, die Wehrmacht müsste unbedingt eine proubychische Politik betreiben, um das natürliche Machtgleichgewicht zwischen den Kaukasusvölkern wiederherzustellen.« Voss, der versuchte, einen Schluck Wein zu
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