Die Wohlgesinnten
interessieren.Mein eigentliches Interesse gilt den so genannten indogermanischen Sprachen, insbesondere den Sprachen iranischen Ursprungs. Nun ist das Ossetische eine besonders interessante iranische Sprache.« – »Inwiefern?« – »Schauen Sie sich die geographische Lage Ossetiens an: Während alle anderen Sprachgruppen nicht kaukasischer Idiome das Umland oder die Ausläufer des Kaukasus bewohnen, nehmen die Osseten die Mitte des Massivs ein und zweiteilen es, direkt auf der Höhe des zugänglichsten Passes in der Darial-Schlucht, über den die Russen ihre Wojennaja Doroga von Tiflis bis Ordshonikidse, dem einstigen Wladikawkas, geführt haben. Obwohl diese Menschen von ihren kaukasischen Nachbarn Kleidung und Gebräuche übernommen haben, handelt es sich offensichtlich um späte Eindringlinge. Man darf wohl mit Fug und Recht annehmen, dass diese Osseten oder Ossen von den Alanen und folglich den Skythen abstammen; wenn das richtig wäre, würde ihre Sprache eine lebendige archäologische Spur des Skythischen darstellen. Und da ist noch etwas anderes: Dumézil hat 1930 eine Sammlung ossetischer Legenden herausgegeben, in denen ein sagenhaftes Volk von Halbgöttern, die Narten, beschrieben wird. Dumézil nimmt auch eine Verbindung zwischen diesen Legenden und der skythischen Religion, von der Herodot berichtet, als gegeben an. Russische Forscher arbeiten seit Beginn des letzten Jahrhunderts über dieses Thema; die Bibliothek und die Institute von Ordshonikidse müssen mit außergewöhnlichem, in Europa unzugänglichem Material bis zum Platzen gefüllt sein. Ich hoffe nur, dass während des Angriffs nicht alles verbrennt.« – »Kurzum, es handelt sich bei den Osseten, wenn ich Sie richtig verstanden habe, um eines der arischen Urvölker.« – »›Ur‹ ist eine viel gebrauchte und missbrauchte Vorsilbe. Sagen wir, dass ihre Sprache aus wissenschaftlicher Sicht einen sehr interessanten archaischen Charakter hat.« – »Was halten Sie vom Begriff der Ursprache,des Urvolks und so fort?« Er zuckte die Achseln: »Es ist eher ein Hirngespinst, ein psychologischer oder politischer Ausspruch als ein wissenschaftlicher Begriff. Nehmen Sie beispielsweise das Deutsche: Jahrhundertelang, noch vor Martin Luther, hat man behauptet, es sei eine Ursprache, wobei man geltend machte, sie habe im Unterschied zu den romanischen Sprachen, mit denen sie verglichen wurde, keine fremden Wurzeln. Einige Theologen verstiegen sich in ihrem Wahn sogar zu der Behauptung, das Deutsche sei die Sprache Adams und Evas gewesen und das Hebräische später daraus entstanden. Doch das ist eine vollkommen haltlose These, denn selbst wenn die Wurzeln ›autochthon‹ wären – tatsächlich leiten sie sich alle direkt von den Sprachen der indoeuropäischen Nomaden her –, ist unsere Grammatik doch vollständig nach der lateinischen aufgebaut. Trotzdem sind unsere kulturellen Vorstellungen sehr stark von diesen Ideen geprägt – dank der Besonderheit, dass das Deutsche im Gegensatz zu anderen europäischen Sprachen in gewisser Weise seinen Wortschatz selbst erzeugen kann. Wir wissen heute, dass jedes beliebige deutsche Kind von acht Jahren alle Wurzeln unserer Sprache kennt und jedes beliebige Wort verstehen kann und mag es noch so gelehrt sein, was beispielsweise für ein französisches Kind nicht gilt, das lange braucht, um die aus dem Griechischen oder Lateinischen abgeleiteten ›schwierigen‹ Wörter zu lernen. Dieser Umstand ist übrigens auf das engste verbunden mit der Vorstellung, die wir von uns selbst haben: Deutschland ist das einzige Land in Europa, das sich nicht geographisch bezeichnet, das nicht den Namen eines Ortes oder eines Volkes trägt wie die Angeln oder die Franken, sondern das Land ›des Volkes an sich‹ ist; deutsch ist das Adjektiv zum althochdeutschen Substantiv Tuits, ›Volk‹. Das ist auch der Grund, warum unsere Nachbarn lauter verschiedene Namen für uns haben: Allemands, Germans, Duits, Tedeschi auf Italienisch, was sich ebenfalls von Tuitsherleitet, oder Nemzy hier in Russland, was übrigens ›die Stummen‹ heißt, Menschen, die nicht sprechen können, ähnlich wie ›Barbaros‹ auf Griechisch. Und unsere ganze heutige rassische und völkische Ideologie baut in gewisser Weise auf diesem sehr alten deutschen Dünkel auf. Den wir, wie ich gerne hinzufüge, nicht als Einzige besitzen: Goropius Becanus, ein flämischer Autor, hat 1569 Gleiches vom Niederländischen behauptet, das er mit den Ursprachen des
Weitere Kostenlose Bücher