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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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beseele, reiche nicht aus, ihn zu töten. Wenn sie sich an einen niederträchtigen kleinen Kaufmann aus Frankreich verkaufen wolle, dann sei das ihre Sache; was mich angehe, so halte ich ihre Ehe für ungesetzlich und bigamistisch. Ich hoffe zumindest, dass sie mir keinen Bankert zumuten werde, den ich nur verabscheuen könne. Klugerweise antwortete meine Mutter nicht auf diese Schmähungen. In dem Sommer richtete ich es so ein, dass ich von den Eltern eines reichen Freundes eingeladen wurde, und setzte keinen Fuß nach Antibes. Sie heirateten im August; ich zerriss die Einladungskarte und warf sie ins Klo; auch in den folgenden Schulferien weigerte ich mich hartnäckig, nach Hause zu fahren; schließlich gelang es ihnen doch, mich nach Hause zu holen, aber das ist eine andere Geschichte. Inzwischen war mein Hass herangereift, erblüht, prall, fast schmackhaft, ein Scheiterhaufen, der auf ein Zündholz wartete. Doch ich vermochte mich nur auf gemeine und schändliche Weise zu rächen: Ich hatte ein Foto meiner Mutter aufgehoben; vor ihren Augen wichste ich oder blies meinen Liebhabern einen und ließ sie darauf abspritzen. Und noch schlimmer. In Moreaus großem Haus überließ ich mich barocken, fantastisch ausgeschmückten erotischen Spielen. Angeregt von den Marsromanen Burroughs’ (des Autors der Tarzan -Romane meiner Kindheit), die ich mit der gleichen Leidenschaft verschlang wie die griechischen Klassiker, schloss ich mich oben im Badezimmer ein, ließ Wasser laufen, um keinen Verdacht zu erregen, und inszenierte die extravagantesten Abenteuer meiner Fantasiewelt. Als Gefangener einer Armee grüner vierarmiger Männer vom Barsoom wurde ich nackt ausgezogen, gefesselt und vor eine strahlend schöne Marsprinzessin mit kupferfarbener Haut geführt, die mit hochmütiger und undurchdringlicher Miene auf ihrem Thron saß. Ich wand mich auf den kalten Fliesen, während mich ein halbes Dutzend ihrer massigenschweigsamen Wachen nacheinander vor ihren Augen vergewaltigte, wofür ich mich eines Gürtels als Lederfessel und eines Besenstiels oder einer Flasche bediente, die ich mir in den After gesteckt hatte. Aber die Besenstiele oder Flaschen konnten schmerzhaft sein: Ich suchte nach etwas Passenderem. Moreau hatte eine Vorliebe für die dicken deutschen Würste; nachts holte ich eine aus dem Kühlschrank, rollte sie zwischen den Händen, um sie anzuwärmen, und rieb sie mit Olivenöl ein; hinterher wusch ich sie sorgfältig, trocknete sie ab und legte sie wieder auf ihren Platz. Am nächsten Morgen beobachtete ich meine Mutter und Moreau, wie sie sie aufschnitten und mit Wonne verspeisten, während ich meinen Anteil unter dem Vorwand, keinen Appetit zu haben, lächelnd ablehnte: Über dem Vergnügen, sie essen zu sehen, konnte ich meinen leeren Magen leicht verschmerzen. Gewiss, das trug sich noch vor ihrer Hochzeit zu, als ich noch regelmäßig zu ihnen nach Hause fuhr. Es ging also nicht allein um ihre Eheschließung. Aber das waren nur die kläglichen, traurigen Racheakte eines ohnmächtigen Kindes. Später, als ich volljährig war, wandte ich mich von ihnen ab, ging nach Deutschland und beantwortete die Briefe meiner Mutter nicht mehr. Doch die Geschichte nahm ihren heimlichen Fortgang, und es genügte ein Nichts, der Schrei eines Sterbenden, damit alles auf einmal wieder hochkam, denn es war immer da gewesen, es kam von woanders her, aus einer ganz anderen Welt, nicht aus der der Menschen und der täglichen Arbeit, sondern aus einer gewöhnlich verschlossenen Welt, deren Pforten der Krieg plötzlich aufstoßen konnte, um mit einem heiseren, unartikulierten Schrei seinen Abgrund aufzureißen, einen grauenhaften Morast, in dem die herrschende Ordnung, die Sitte und das Gesetz versanken, der die Menschen zwang, sich gegenseitig zu töten, sie wieder unter das Joch brachte, von dem sie sich so mühsam befreit hatten, ihnen erneut die Last dessen auferlegte, wasvorher gewesen war. Wir gingen wieder an dem Schienenstrang mit den herrenlosen Güterwagen vorbei: In meine Gedanken vertieft, hatte ich kaum bemerkt, dass wir den langen Weg rund um den Kurgan zurückgelegt hatten. Der harte Schnee, der unter meinen Stiefeln knirschte, nahm unter dem bleichen Mond, der unseren Weg beleuchtete, eine bläuliche Färbung an. Eine weitere Viertelstunde genügte uns, um wieder zum Uniwermag zu gelangen; ich verspürte kaum Müdigkeit, das Gehen hatte mich belebt. Iwan grüßte nachlässig und ging zu seinen Landsleuten, meine

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