Die Wohlgesinnten
Maschinenpistole nahm er mit. In dem großen Einsatzraum saßen die Offiziere der Stadtkommandantur unter dem riesigen Kronleuchter, den sie in einem Theater requiriert hatten, bei einem Glas Wein und sangen O du fröhliche und Stille Nacht, heilige Nacht . Einer von ihnen reichte mir ein Glas Rotwein; ich leerte es in einem Zug, obwohl es sich um guten französischen Wein handelte. Auf dem Flur traf ich Möritz, der mich verblüfft ansah: »Sie sind draußen gewesen?« – »Jawohl. Ich habe einen Teil unserer Stellungen erkundet, um eine Vorstellung von der Stadt zu gewinnen.« Sein Gesicht verfinsterte sich: »Setzen Sie Ihr Leben nicht unnötig aufs Spiel. Es war verdammt schwer, Sie zu kriegen, wenn Sie sich gleich umbringen lassen, bekomme ich keinen Ersatz mehr.« – »Zu Befehl.« Ich grüßte und ging mich umziehen. Etwas später lud Möritz seine Offiziere zu einem Umtrunk ein, dafür hatte er extra zwei Flaschen Kognak aufgehoben; er machte mich mit meinen neuen Kameraden bekannt: Leibbrandt, Dreyer, Vopel, dem Nachrichtenoffizier, Hauptsturmführer von Ahlfen, Herzog, Zumpe. Zumpe und Vopel, der Untersturmführer, den ich schon am Tag zuvor kennengelernt hatte, arbeiteten mit Thomas zusammen. Außerdem war da noch Weidner, der Gestapochef der Stadt (Thomas war Leiter IV für das Gesamtgebiet des Kessels und daher Weidners Vorgesetzter). Wir tranken auf den Führer und den Endsieg undwünschten uns fröhliche Weihnachten; die Feier verlief nüchtern und kameradschaftlich, was mir eindeutig lieber war als die sentimentalen oder religiösen Gefühlswallungen der Soldaten. Aus Neugier besuchten Thomas und ich die Christmette, die im großen Saal gefeiert wurde. Der katholische Priester und der evangelische Pfarrer einer der Divisionen lasen abwechselnd in vorbildlichem ökumenischem Geist, und die Gläubigen beider Konfessionen beteten gemeinsam. General von Seydlitz-Kurzbach, der Kommandierende General des LI. Korps, war mit einigen Divisionskommandeuren und ihren Stabschefs anwesend; Thomas machte mich auf Sanne aufmerksam, der die 100. Jägerdivision befehligte, auf Korfes, von Hartmann. Auch einige unserer Ukrainer nahmen teil: Das waren, wie Thomas mir erklärte, Unierte aus Galizien, die, anders als ihre orthodoxen Vettern, Weihnachten zur gleichen Zeit wie wir feiern. Ich schaute sie mir genauer an, konnte Iwan aber nicht entdecken. Nach der Messe kehrten wir zurück, um noch etwas Kognak zu trinken; dann fühlte ich mich plötzlich sehr erschöpft und ging zu Bett. Wieder träumte ich von Metros: Dieses Mal führten zwei Schienenstränge parallel zwischen strahlend hellen Bahnsteigen hindurch, vereinigten sich ein Stück weiter im Tunnel, hinter mächtigen Rundpfeilern aus Beton, die als Trennelemente dienten; doch diese Weiche funktionierte nicht, und ein Arbeitstrupp Frauen in orangefarbenen Uniformen, unter ihnen eine Negerin, arbeitete fieberhaft an der Reparatur, während der mit Passagieren vollgestopfte Zug bereits die Station verließ.
Schließlich machte ich mich etwas organisierter und konzentrierter an die Arbeit. Am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertags nahm ein heftiger Schneesturm uns alle Hoffnungenauf eine Sonderration; gleichzeitig führten die Russen einen Angriff auf den nordöstlichen Frontabschnitt und griffen auch in Richtung der Fabriken an, wobei sie einige Kilometer tiefe Geländegewinne machten und mehr als zwölfhundert unserer Männer fielen. Ich vermerkte in meinem Bericht, die Kroaten hätten eine schwere Feuerprobe bestehen müssen; auf der Verlustliste stand auch der Name des Oberfeldwebels Nii. Carpe diem! Ich hoffte, dass er wenigstens noch Zeit gehabt hatte, seine Zigarette zu rauchen. Ich studierte massenhaft Berichte und schrieb eigene. Weihnachten schien die Moral der Männer nicht besonders zu beeinträchtigen: Nach den Berichten oder den von der Zensur geöffneten Briefen zu urteilen, hielten die meisten unverbrüchlich an ihrem Glauben an den Führer und den Endsieg fest; trotzdem wurden täglich Deserteure oder Männer, die sich der Selbstverstümmelung schuldig gemacht hatten, hingerichtet. Einige Divisionen erschossen ihre Verurteilten selbst, andere überstellten sie uns; dann wurde das in einem Hof erledigt, hinter der Gestapostelle. Uns wurden auch die Zivilisten ausgeliefert, die von den Feldgendarmen beim Plündern erwischt worden waren oder die im Verdacht standen, die Russen mit Informationen zu beliefern. Einige Tage nach Weihnachten begegnete
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