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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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»Der SD interessiert sich für alles, Herr Oberstarzt.« – »Na, dann lassen Sie mich mal meinen Bericht fertig schreiben. Dann hole ich eine so genannte Suppe im so genannten Kasino, und wir unterhalten uns, während wir so tun, als äßen wir.« Er klopfte sich auf seinen runden Bauch: »Im Augenblick ist es noch eine Heilkur für mich. Aber sie sollte nicht zu lange dauern.« – »Sie haben wenigstens noch was zuzusetzen.« – »Das hat nichts zu sagen. Die nervösen Mageren wie Sie scheinen sich länger zu halten als die Dicken und Kräftigen. Lassen Sie mich arbeiten. Sie haben es doch nicht eilig?« Ich hob die Arme: »Wissen Sie, Herr Oberstarzt, angesichts der ungeheuren Bedeutung dessen, was ich für die Zukunft Deutschlands und der 6. Armee leiste …« – »Dachte ich mir. Dann können Sie ja getrost hier übernachten, und wir kehren morgen früh gemeinsam nach Gumrak zurück.«
    Im Dorf Rakotino blieb es merkwürdig still. Wir befanden uns weniger als einen Kilometer hinter der Front, doch seit meiner Ankunft hatte ich nur einige Schüsse gehört.Das Klappern der Schreibmaschine erfüllte diese Stille und machte sie noch beklemmender. Wenigstens hatte sich mein Durchfall beruhigt. Schließlich steckte Hohenegg seine Blätter in eine Aktentasche, stand auf und zog sich eine zerschlissene Schapka über den runden Schädel. »Geben Sie mir Ihr Soldbuch«, sagte er, »ich geh die Suppe holen. Sie finden ein bisschen Holz neben dem Ofen: Bringen Sie ihn wieder in Gang, aber verwenden Sie so wenig wie möglich. Das muss bis morgen reichen.« Er ging; ich kümmerte mich um den Ofen. Der Holzvorrat war in der Tat spärlich: Einige feuchte Zaunpfähle mit Stacheldrahtresten. Schließlich gelang es mir, ein Stück anzuzünden, nachdem ich es zerkleinert hatte. Hohenegg kam mit einem Kochgeschirr voll Suppe und einer großen Scheibe Kommissbrot zurück. »Tut mir leid«, sagte er, »aber sie weigern sich, Ihnen ohne schriftlichen Befehl des Generalkommandos eine Ration zu geben. Wir teilen.« – »Keine Sorge«, sagte ich, »damit hab ich gerechnet.« Ich ging an meinen Mantel und holte ein Stück Brot, trockene Kekse und eine Dose Fleisch aus den Taschen. »Großartig!«, rief er aus. »Heben Sie die Dose für heute Abend auf, ich habe noch eine Zwiebel: Das wird ein Festmahl. Zum Mittagessen habe ich das hier.« Er zog aus seiner Aktentasche ein Stück Speck, das er in eine sowjetische Zeitung eingewickelt hatte. Mit einem Taschenmesser zerteilte er das Brot in mehrere Scheiben und schnitt auch zwei dicke Scheiben Speck ab; das alles legte er zusammen mit dem Kochgeschirr voll Suppe direkt auf den Ofen. »Sie müssen schon entschuldigen, aber ich habe keinen Kochtopf.« Während der Speck brutzelte, räumte er seine kleine Schreibmaschine fort und breitete das Zeitungspapier auf dem Tisch aus. Wir aßen den Speck auf den gerösteten Graubrotscheiben: Das etwas zerlaufene Fett tränkte das grobe Brot, es war köstlich. Hohenegg bot mir seine Suppe an; ich lehnte ab, deutete auf meinen Bauch. Er hob die Augenbrauen:»Die Ruhr?« Ich schüttelte den Kopf. »Hüten Sie sich vor der Ruhr. In normalen Zeiten erholt man sich von ihr, aber hier rafft sie die Menschen in wenigen Tagen hin. Sie entleeren sich und sterben.« Er erklärte mir, welche Hygienemaßnahmen es zu beachten galt. »Das dürfte hier etwas schwierig sein«, wandte ich ein. »Ja, das stimmt«, räumte er traurig ein. Während wir unsere Speckstullen verputzten, kam er auf Läuse und Typhus zu sprechen. »Die ersten Fälle sind schon aufgetreten, und wir versuchen, sie so gut wie möglich zu isolieren«, erläuterte er. »Doch es wird zu einer unvermeidlichen Epidemie kommen. Und das wird dann eine Katastrophe werden. Die Männer werden sterben wie die Fliegen.« – »Ich finde, sie sterben auch so schon schnell genug.« – »Wissen Sie, was unsere Towarischtschi jetzt am Frontabschnitt der Division machen? Sie senden über Lautsprecher das Ticken einer Uhr, sehr laut, dann verkündet eine Grabesstimme auf Deutsch: ›Alle sieben Sekunden stirbt ein Deutscher in Russland!‹ Dann beginnt das Tick, Tack von Neuem. Sie spielen es stundenlang ab. Das geht durch Mark und Bein.« Für die Männer, die an Hunger und Kälte eingehen, vom Ungeziefer aufgefressen werden, sich tief in ihre Bunker aus Schnee und gefrorener Erde verkrochen haben, muss das, denke ich, grauenerregend sein, selbst wenn die Zahlen ein wenig übertrieben sind, wie aus den am

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