Die Wohlgesinnten
zu viel Schlagseite, es kippte plötzlich auf eine Tragfläche und zerschellte einige Hundert Meter jenseits des Flugfelds in einem riesigen Feuerball, der die Steppe einen Augenblick lang erhellte. Ich hatte mich wegen des Beschusses in einen Bunker zurückgezogen, sah aber alles vom Eingang aus, wieder füllten sich meine Augen mit Tränen, aber es gelang mir, mich zu beherrschen. Schließlich holte man mich, weil das Fahrzeug eingetroffen war, allerdings erst kurz nachdem eine Artilleriegranate in einem der Verwundetenzelte nahe des Flugfelds eingeschlagen war, sodass Gliedmaßen und Fleischfetzen über die ganze Ladezone verstreut wurden. Da ich in der Nähe stand, musste ich helfen, die blutverschmierten Trümmer beiseitezuräumen, um nach Überlebenden zu suchen; ich ertappte mich dabei, dass ich die auf dem rot gefärbten Schnee verteilten Gedärme eines jungen Soldaten mit zerrissenem Bauch studierte, um Spuren meiner Vergangenheit und Hinweise auf meine Zukunft in ihnen zu finden – ich sagte mir, dass das Ganze zusehends zu einer schmerzlichen Farce geriet. Es gelang mir nicht, meine Fassung wiederzugewinnen, trotz meiner begrenzten Vorräte rauchte ich eine Zigarette nach der anderen und musste alle Viertelstunden eiligst zu den Latrinen laufen, um einen dünnen Faden flüssiger Scheiße loszuwerden; zehn Minuten nach Abfahrt des Fahrzeugs musste ich halten lassen und stürzte hinter eine Schneeverwehung; mein Pelzmantel behinderte mich, und ich beschmutzte ihn. Ich versuchte, ihn mit Schnee zu säubern, holte mir dabei aber nur Frostbeulen an den Fingern;wieder im Auto, lehnte ich mich an die Tür, schloss die Augen und versuchte, das alles aus dem Gedächtnis zu löschen. Ich blätterte in den Bildern aus meiner Vergangenheit wie in einem abgegriffenen Kartenspiel, bemüht, eine Karte herauszufischen, die ich in meiner Vorstellung einige Augenblicke zum Leben erwecken könnte: Aber sie verflogen, lösten sich auf oder blieben tot. Selbst meine Schwester, meine letzte Zuflucht, blieb eine Holzfigur. Nur die Anwesenheit der anderen Offiziere hinderte mich daran, erneut zu weinen.
Bis wir an unserem Bestimmungsort ankamen, nahm das Schneetreiben wieder zu, und die Flocken tanzten heiter und leicht in der grauen Luft; fast hätte man meinen können, die endlos leere und weiße Steppe wäre in Wirklichkeit ein Märchenland, von kristallinen Feen bewohnt, heiter und leicht wie die Flocken, deren Lachen leise mit dem Windgeräusch verschmolz; doch sie so vom Unglück und der schmutzigen Angst der Menschen befleckt zu wissen verdarb die Illusion. In Rakotino fand ich endlich Hohenegg in einer kleinen, elenden Isba , die halb im Schnee vergraben war; beim Schein einer Kerze, die in einer Pak-Granathülse steckte, tippte er auf einer Reiseschreibmaschine. Er hob den Kopf, ließ aber kein Zeichen des Erstaunens erkennen: »Sieh da. Der Hauptsturmführer. Welcher günstige Wind treibt Sie her?« – »Sie.« Er fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel: »Für so begehrt habe ich mich gar nicht gehalten. Aber ich warne Sie: Wenn Sie krank sind, sind Sie umsonst gekommen. Ich kümmere mich nur noch um die, für die es zu spät ist.« Ich versuchte, mich wieder zu fassen und eine passende Erwiderung zu finden: »Herr Oberstarzt, ich leide nur an einer einzigen Krankheit, einer sexuell übertragbaren und unweigerlich tödlichen: dem Leben.« Er verzog das Gesicht: »Sie sind nicht nur etwas blässlich geworden, sondern auch auf den Gemeinplatz heruntergekommen. Ich habe Sie schon in bessererVerfassung erlebt. Der Belagerungszustand bekommt Ihnen nicht.« Ich legte meinen Pelzmantel ab, hängte ihn an einen Nagel, setzte mich dann unaufgefordert auf eine roh gezimmerte Bank und lehnte mich an die Wand. Das Zimmer war kaum geheizt, gerade genug, um die Kälte ein wenig zu mildern; Hoheneggs Finger sahen blau aus. »Wie kommt Ihre Arbeit voran, Herr Oberstarzt?« Er zuckte die Achseln: »Es geht. Generalstabsarzt Renoldi hat mich nicht sehr liebenswürdig empfangen; offenbar hielt er den Auftrag für überflüssig. Damit kann ich leben, hätte es aber vorgezogen, er hätte seine Ansicht geäußert, als ich noch in Nowotscherkassk war. Abgesehen davon, hat er Unrecht: Ich bin zwar noch nicht fertig, aber schon meine vorläufigen Ergebnisse sind außergewöhnlich.« – »Über die würde ich gern mit Ihnen sprechen, das ist der Grund meines Kommens.« – »Der SD interessiert sich jetzt für die Ernährung?« –
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