Die Wohlgesinnten
interessiert«, erwiderte er. »Dieser junge Karajan gefällt mir nicht besonders. Er ist noch zu sehr von sich eingenommen, zu anmaßend.« – »Dann ist Ihnen Furtwängler also lieber?« – »Furtwängler hat nur selten Überraschungen zu bieten. Aber er ist sehr zuverlässig. Leider lässt man ihn keine Mozartopern mehr dirigieren, obwohl er das am besten kann. Offenbar war Lorenzo Da Ponte ein Halbjude und die Zauberflöte eine Freimaureroper.« – »Glauben Sie das nicht?« – »Vielleicht, aber zeigen Sie mir einen einzigen deutschen Opernbesucher, der von sich aus darauf kommen würde. Meine Frau hat mir gesagt, dass Sie alte französische Musik mögen?« – »Ja, vor allem die Instrumentalmusik.« – »Sie haben einen guten Geschmack. Rameau und der große Couperin werden noch immer vernachlässigt. Es gibt nach wie vor musikalische Schätze für die Viola da Gamba aus dem 17. Jahrhundert; sie sind noch unerforscht, aber ich habe einige Handschriften zu Gesicht bekommen. Ganz herrlich. Doch das frühe 18. Jahrhundert Frankreichs ist wahrhaftig ein Höhepunkt. Solche Musik können wir heute nicht mehr schreiben. Die Romantiker haben alles verdorben, wir bemühen uns noch immer, uns davon wieder zu befreien.« – »Du weißt, dass Furtwängler gerade in dieserWoche dirigiert hat«, unterbrach ihn Una. »Im Admiralspalast. Mit dieser Tiana Lemnitz, die gar nicht so schlecht ist. Aber wir sind nicht hingegangen. Es gab Wagner, und Berndt mag Wagner nicht.« – »Das ist sehr vorsichtig ausgedrückt«, sagte dieser. »Ich verabscheue ihn. Technisch sind ihm einige höchst ungewöhnliche Entdeckungen gelungen, wirklich neue, objektiv wichtige Dinge, aber all das verliert sich in Pathos, Megalomanie und plumper Manipulation von Gefühlen, wie der größte Teil der deutschen Musik seit 1815. Sie ist für Leute geschrieben, deren wichtigster musikalischer Bezugspunkt im Grunde genommen immer noch die Militärkapelle ist. Wagners Partituren zu lesen fasziniert mich, aber ich kann ihn nicht hören.« – »Gibt es denn keinen deutschen Komponisten, der Gnade vor Ihren Augen findet?« – »Nach Mozart und Beethoven? Einige Stücke von Schubert, stellenweise Mahler. Und eigentlich bin ich da schon wieder viel zu nachsichtig. Im Grunde genommen gibt es nur Bach … Und heute natürlich Schönberg.« – »Verzeihung, Herr Baron, aber es erscheint mir doch etwas fragwürdig, Schönbergs Musik als deutsche Musik zu bezeichnen.« – »Junger Mann«, erwiderte von Üxküll kalt, »versuchen Sie nicht, mich den Antisemitismus zu lehren. Ich war schon antisemitisch, da waren Sie noch gar nicht geboren, trotzdem bin ich altmodisch genug, um zu glauben, dass das Sakrament der Taufe in der Lage ist, vom Makel des Judentums reinzuwaschen. Schönberg ist ein Genie, das größte seit Bach. Wenn die Deutschen ihn nicht wollen, ist das ihr Problem.« Una brach in ein helles Lachen aus: »Sogar der VB nennt Berndt noch immer einen der größten Vertreter der deutschen Kultur. Doch wäre er Schriftsteller, wäre er entweder mit Schönberg und den Manns in den Vereinigten Staaten oder in Sachsenhausen.« – »Ist das der Grund, warum Sie seit zehn Jahren nichts zur Aufführung gebracht haben?«, fragte ich. Von Üxküll fuhr mit der Gabel durch die Luft, während er antwortete:»Zunächst einmal, weil ich kein Mitglied der Musikkammer bin, darf ich es gar nicht. Und ich weigere mich, meine Musik im Ausland zu spielen, wenn ich sie nicht in meinem Heimatland zu Gehör bringen darf.« – »Und warum treten Sie der Kammer nicht bei?« – »Aus Prinzip. Wegen Schönberg. Als sie ihn aus der Akademie geworfen haben und er Deutschland verlassen musste, haben sie mir seinen Platz angeboten: Ich habe sie zum Teufel gejagt. Strauss hat mich persönlich aufgesucht. Er hatte gerade den Platz von Bruno Walter eingenommen, einem hervorragenden Dirigenten. Ich habe ihm gesagt, er solle sich schämen, das sei eine Regierung aus Verbrechern und verbitterten Proletariern, die sich nicht lange halten werde. Im Übrigen haben sie Strauss zwei Jahre später wegen seiner jüdischen Schwiegertochter rausgeschmissen.« Ich rang mir ein Lächeln ab: »Ich möchte mich nicht auf eine politische Diskussion einlassen. Aber wenn ich Sie so reden höre, begreife ich nicht ganz, wie Sie sich für einen Antisemiten halten können.« – »Ganz einfach«, erwiderte von Üxküll hochmütig. »Ich habe gegen die Juden und die Roten in Kurland und im
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