Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
Vom Netzwerk:
Hörer gepresst, verloren in meiner Verzweiflung. »Wir können uns wiedersehen«, sagte sie, »du kannst uns besuchen kommen.« – »Warten wir es ab«, antwortete der andere, der durch meinen Mund sprach. Die Übelkeit überfiel mich wieder, ich glaubte, mich übergeben zu müssen, krampfhaft schluckte ich meinen Speichelhinunter, atmete durch die Nase und konnte den Anfall unterdrücken. Dann hängte sie ein, und ich war wieder allein.
     
    Schließlich war es Thomas doch gelungen, mir einen Termin bei Schulz zu besorgen. »Da die Sache nicht richtig vorankommt, ist es, denke ich, einen Versuch wert. Geh rücksichtsvoll mit ihm um.« Das kostete mich keine sonderliche Mühe: Schulz, ein kleiner, schmächtiger Mann, der in seinen Schnurrbart nuschelte und einen tiefen Schmiss quer über den Mund hatte, drückte sich so gewunden aus, dass es manchmal schwer war, ihm zu folgen; unablässig in meiner Akte blätternd, ließ er mich kaum zu Wort kommen. Es gelang mir, etwas über mein Interesse an der Außenpolitik des Reiches einzuflechten, doch er schien es gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Aus diesem Gespräch ergab sich lediglich, dass man sich höheren Ortes für mich interessierte und nach Abschluss meines Genesungsurlaubs weitersehen werde . Das war wenig ermutigend, und Thomas bestätigte meine Auffassung: »Die da unten müssen dich für einen konkreten Posten anfordern. Sonst schickt man dich wer weiß wohin, nach Bulgarien vielleicht. Gut, da ist es ruhig, aber der Wein ist nicht besonders.« Best hatte mir vorgeschlagen, mich mit Knochen in Verbindung zu setzen, doch Thomas’ Worte hatten mich auf eine bessere Idee gebracht: Schließlich hatte ich Urlaub, nichts zwang mich, in Berlin zu bleiben.
    Ich nahm den Nachtexpress und kam kurz nach Morgengrauen in Paris an. Die Kontrollen bereiteten keine Schwierigkeiten. Vor dem Bahnhof nahm ich voll Freude den blassen grauen Stein, die Hektik der Straßen in mich auf, wegen der Sprit-Rationierung waren nur wenige Kraftfahrzeuge unterwegs, aber die Fahrbahnen waren mit Zwei- und Dreirädern verstopft, zwischen denen sich die deutschen Autosnur mühsam einen Weg bahnen konnten. Von der Heiterkeit angesteckt, betrat ich das erstbeste Café und trank, an der Theke stehend, einen Kognak. Ich trug Zivil, und niemand hatte Grund, mich für etwas anderes als einen Franzosen zu halten, was mir ein seltsames Vergnügen bereitete. Langsam schlenderte ich zum Montmartre hinauf und quartierte mich in einem kleinen, unauffälligen Hotel ein, an der Flanke der Butte , oberhalb von Pigalle; ich kannte diese Gegend: Die Zimmer waren einfach und sauber und der Wirt ohne jede Neugier, was mir gefiel. Am ersten Tag wollte ich niemanden sehen. Ich ging spazieren. Es war April, der Frühling war überall zu ahnen, im zarten Blau des Himmels, den Knospen und Blüten, die sich auf den Zweigen zeigten, und in einer gewissen Ausgelassenheit oder zumindest Beschwingtheit in den Schritten der Menschen. Ich wusste, das Leben war hart in Paris, der gelbliche Teint vieler Gesichter verriet den Nahrungsmangel. Trotzdem schien sich seit meinem letzten Besuch nichts verändert zu haben, abgesehen vom Verkehr und den Graffiti: Auf den Wänden las man jetzt Stalingrad oder 1918 , meist abgewaschen und manchmal durch 1763 ersetzt, ganz gewiss ein geistreicher Einfall unserer Dienste. Ich schlenderte zur Seine hinab und stöberte bei den Bouquinisten an den Quais: Zu meiner Überraschung verkauften sie neben Céline, Drieu, Mauriac, Bernanos oder Montherlant auch ganz offen Kafka, Proust und sogar Thomas Mann; solche Laxheit schien an der Tagesordnung zu sein. Fast alle Händler hatten ein Exemplar von Rebatets im Vorjahr erschienenen Buch Les décombres vorliegen: Ich blätterte es aus Neugier durch, verschob den Kauf aber auf später. Am Ende entschied ich mich für eine Aufsatzsammlung von Maurice Blanchot, einem Kritiker der NRF , von dem ich vor dem Krieg einige Artikel gelesen hatte, die mir gefallen hatten; es waren broschierte Fahnen, die vermutlich von einem Journalisten weiterverkauft worden waren; der Titel lautete Faux pas ; der Bouquinist erklärte mir, die Veröffentlichung des Buchs sei wegen Papiermangels verschoben worden, wobei er mir versicherte, das sei das beste Buch, das in letzter Zeit geschrieben worden sei, es sei denn, mir gefiele Sartre, was er von sich nicht behaupten könne (ich hatte bis dahin noch nie von Sartre gehört). Auf der Place Saint-Michel setzte ich mich auf

Weitere Kostenlose Bücher