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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Memelgebiet gekämpft. Ich bin dafür eingetreten, die Juden von deutschen Universitäten und aus dem politischen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen. Ich habe auf die Gesundheit der Männer getrunken, die Rathenau getötet haben. Aber mit der Musik ist es etwas anderes. Es genügt, die Augen zu schließen und zuzuhören, um sogleich zu wissen, ob sie gut oder schlecht ist. Das hat nichts mit dem Blut zu tun, und alle große Musik ist gleich viel wert, egal, ob sie deutsch, französisch, englisch, italienisch, russisch oder jüdisch ist. Meyerbeer ist nichts wert, nicht weil er Jude war, sondern weil er nichts wert ist. Und Wagner, der Meyerbeer hasste, weil er Jude war und weil er ihm geholfen hatte, ist nach meinem Geschmack kaum besser.« – »Wenn Max seinen Kameraden erzählt, was du hier von dir gibst«, sagteUna lachend, »wirst du Ärger kriegen.« – »Du hast mir gesagt, er sei ein intelligenter Mensch«, erwiderte er, wobei er sie ansah. »Und ich pflege dir aufs Wort zu glauben.« – »Ich bin kein Musiker«, sagte ich, »und daher ist es für mich ein wenig schwierig, Ihnen zu antworten. Was ich bisher von Schönberg habe hören können, fand ich unerträglich. Aber eines ist sicher: Sie befinden sich gewiss nicht im Einklang mit der Stimmung in Ihrer Heimat.« – »Junger Mann«, gab er mit einem Achselzucken zurück, »das liegt auch nicht in meiner Absicht. Ich mische mich schon lange nicht mehr in staatliche Angelegenheiten ein, und ich erwarte im Gegenzug, dass der Staat sich nicht in meine einmischt.« Man hat nicht immer die Wahl, wollte ich antworten, verkniff es mir aber.
    Gegen Ende der Mahlzeit hatte ich, von Una gedrängt, Üxküll von meinem Wunsch nach einem Posten in Frankreich erzählt. Una hatte hinzugefügt: »Kannst du ihm nicht helfen?« Üxküll hatte überlegt: »Ich kann es versuchen. Meine Freunde bei der Wehrmacht hegen allerdings keine besonders freundlichen Gefühle für die SS.« Das wurde mir allmählich auch klar, und ich sagte mir gelegentlich, dass Blobel, als er in Charkow so die Fassung verloren hatte, im Grunde Recht gehabt hatte. Alle meine Versuche schienen in einer Sackgasse zu enden: Best hatte mir zwar seine Festgabe geschickt, aber Frankreich mit keinem Wort erwähnt; Thomas versuchte mir Mut zuzusprechen, erreichte aber nichts für mich. Und ich, der ich vollkommen von der Gegenwart meiner Schwester und den Gedanken an sie in Anspruch genommen war, unternahm überhaupt keine Anstrengung mehr, ich versank in meinem Kummer, erstarrt, versteinert, eine traurige Salzsäule an den Ufern des Toten Meeres. An diesem Abend waren meine Schwester und ihr Mann zu einem Empfang eingeladen, Una schlug mir vor mitzukommen. Ich lehnte ab, ich wollte sie so nicht sehen: unter leichtfertigen,arroganten betrunkenen Aristokraten, die Champagner schlürften und Witze rissen über alles, was mir heilig war. Ich war mir sicher, unter diesen Leuten würde ich mir ohnmächtig, linkisch, wie ein Bauerntölpel vorkommen; ihre Sarkasmen würden mich verletzen und meine ängstliche Befangenheit mich daran hindern, ihnen zu antworten; ihre Welt war Menschen wie mir verschlossen, und sie verstanden sich gut darauf, das auch deutlich zu machen. Ich verkroch mich in meinem Zimmer und versuchte, die Festgabe durchzublättern, die Worte ergaben aber keinen Sinn. Da überließ ich mich der süßen Verführung törichter Illusionen: Von Gewissensbissen gepackt, verließ Una die Abendgesellschaft, kam in mein Hotel, öffnete die Tür, lächelte mir zu, und mit einem Schlag stand die Vergangenheit wieder wie befreit vor mir. All das war vollkommen idiotisch, und ich wusste es, aber je mehr Zeit verstrich, desto gründlicher gelang es mir, mich davon zu überzeugen, dass es tatsächlich so geschehen würde, hier und jetzt. Ich saß im Dunkeln auf dem Sofa, bei jedem Geräusch auf dem Flur, bei jedem Läuten des Fahrstuhls machte mein Herz einen Satz, ich wartete. Doch es war immer eine andere Tür, die sich öffnete und schloss, und die Verzweiflung stieg wie schwarzes Wasser, wie das kalte, erbarmungslose Wasser, das die Ertrinkenden umhüllt und ihnen den Atem, die kostbare Luft des Lebens, raubt. Am folgenden Tag reisten Una und Üxküll in die Schweiz ab.
    Am Morgen, kurz bevor sie in den Zug stieg, rief sie mich an. Ihre Stimme war sanft, zärtlich, warm. Das Gespräch war kurz, ich achtete nicht recht auf das, was sie sagte, sondern lauschte dieser Stimme, das Ohr an den

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