Die Wohlgesinnten
ich zugrunde gehen. Ich rief noch einmal in Mandelbrods Büro an und hinterließ eine Nachricht.
MENUET (EN RONDEAUX)
Es wird euch nicht überraschen, dass es Thomas war, der mir den Umschlag überbracht hatte. Ich war hinuntergegangen, um mir in der Bar des Hotels zusammen mit einigen Wehrmachtsoffizieren die Nachrichten anzuhören. Es muss Mitte Mai gewesen sein: In Tunis hätten unsere Truppen planmäßig eine freiwillige Frontverkürzung vorgenommen; in Warschau gehe die Bandenvernichtung reibungslos vonstatten. Die Offiziere, die um mich herumsaßen, hörten schweigend und niedergeschlagen zu; ein Hauptmann, der nur noch einen Arm hatte, lachte bei den Worten planmäßig und freiwillige Frontverkürzung laut und höhnisch auf, verstummte aber, als er meinem sorgenvollen Blick begegnete; wie er und die anderen wusste ich genug, um diese Euphemismen richtig zu interpretieren: Die aufständischen Juden im Getto leisteten SS und Polizei seit mehreren Wochen erbitterten Widerstand, und Tunesien war verloren. Mit einem Blick forderte ich den Kellner auf, mir noch einen Kognak zu bringen. Thomas trat ein. Forschen Schrittes durchquerte er die Bar, entbot den deutschen Gruß mit zusammengeschlagenen Hacken, nahm mich dann am Arm und zog mich in eine Nische; dort ließ er sich auf einer Bank nieder, warf seine Mütze nachlässig auf den Tisch und schwenkte einen Umschlag, den er behutsam zwischen zwei behandschuhtenFingern hielt. »Weißt du, was drin ist?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich schüttelte den Kopf. Ich sah auf dem Umschlag den Absender: Persönlicher Stab des Reichsführers SS . »Aber ich weiß es«, fuhr er im selben wichtigen Ton fort. Auf seinem Gesicht erschien ein strahlendes Lächeln: »Glückwunsch, alter Freund. Du lässt dir nicht in die Karten schauen. Ich habe immer gewusst, dass du viel schlauer bist, als du tust.« Er hielt immer noch den Umschlag. »Na, nimm schon.« Ich nahm ihn, riss ihn auf und zog ein Schreiben heraus: den Befehl, mich demnächst bei Obersturmbannführer Dr. Rudolf Brandt, dem persönlichen Adjutanten des Reichsführers SS, zu melden. »Das ist eine Vorladung«, sagte ich ziemlich töricht. »Ja, eine Vorladung.« – »Und was bedeutet die?« – »Die bedeutet, dass der Arm deines Freundes Mandelbrod sehr weit reicht. Du bist dem Persönlichen Stab des Reichsführers zugeteilt worden, mein Lieber. Das müssen wir feiern!«
Ich hatte keine große Lust zum Feiern, ließ mich aber überreden. Thomas verbrachte die Nacht damit, mir einen amerikanischen Whiskey nach dem anderen zu spendieren und sich begeistert über die Hartnäckigkeit der Warschauer Juden auszulassen. »Stell dir vor! Juden!« Was meinen neuen Posten anging, schien er zu denken, dass mir da ein meisterhafter Schachzug gelungen sei; ich selbst hatte keine Ahnung, worum es ging. Am nächsten Morgen meldete ich mich im SS-Haus in der Prinz-Albrecht-Straße gleich neben der Geheimen Staatspolizei, einem alten Stadtpalais, das in ein Dienstgebäude umgewandelt worden war. Obersturmbannführer Brandt, ein kleiner gebeugter Mann mit farbloser und pedantischer Miene, das Gesicht hinter einer großen Hornbrille mit runden Gläsern verborgen, empfing mich augenblicklich: Mir schien, ich hätte ihn in Hohenlychen gesehen, als ich im Bett den Orden vom Reichsführer verliehen bekommen hatte. Kurz und prägnant erläuterte er mir, wasman von mir erwartete. »Die vor einem Jahr begonnene Umwandlung der Konzentrationslager von einer Institution des Strafvollzugs in eine Einrichtung zur Arbeitskräftebeschaffung vollzieht sich nicht reibungslos.« Das Problem erwachse sowohl aus dem Verhältnis zwischen der SS und externen Stellen als auch aus SS-internen Reibereien. Der Reichsführer wünsche, die Ursachen dieser Spannungen genauer kennenzulernen, um sie abbauen und auf diese Weise die Produktivität dieses sehr beträchtlichen Reservoirs an Arbeitskraft besser nutzen zu können. Daher habe er beschlossen, einen bereits erfahrenen Offizier zu seinem persönlichen Beauftragten für den Arbeitseinsatz zu ernennen. »Nach Prüfung der Akten und aufgrund verschiedener Empfehlungen ist die Wahl auf Sie gefallen. Der Reichsführer vertraut voll und ganz auf Ihre Fähigkeit, diese Aufgabe zu seiner Zufriedenheit zu erfüllen; sie verlangt einen analytischen Verstand, diplomatisches Geschick und jene Tatkraft im Geiste der SS, die Sie in Russland unter Beweis gestellt haben.« Die betreffenden
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